Todesbraeute
tatsächlich hatte er keinen Wunsch verspürt, in den Spiegel zu sehen. Er konnte seinen eigenen Anblick nicht ertragen.
»Das war eine ärgerliche Fehlkalkulation. Reiß dich zusammen und mach weiter.«
Eine ärgerliche Fehlkalkulation. Zorn kochte in ihm hoch und löste seine Zunge. »Einer meiner Deputys ist gestorben. Da kann man wohl kaum von Fehlkalkulation reden.«
»Er war ein schießwütiger Hinterwäldler, der einmal gefährlicher City-Cop spielen wollte.« »Er war erst einundzwanzig.« Seine Stimme brach, aber er war zu wütend, um sich dafür zu schämen. »Dann hättest du in deinen Reihen für mehr Disziplin sorgen müssen.« Kein Mitgefühl war in der Stimme zu hören. Nur Verachtung. »Das nächste Mal sollten deine Jungs auf dich hören, bevor sie losstürmen, um einen großen, bösen Buben mit einem großen, bösen Ballermann zu stellen.« Er erwiderte nichts. Er sah das Blut noch vor sich. Das viele Blut. Es kam ihm vor, als würde er den toten Jungen sehen, sobald er die Augen schloss, und vielleicht würde das für den Rest seines Lebens so bleiben. »Also?«, kam es barsch aus dem Jaguar. »Wo ist er?« Er schlug die Augen auf und zog müde einen Schlüssel aus seiner Tasche. »Hier.«
Dunkle Augen verengten sich. »Das ist nicht der richtige.« Er lachte bitter auf. »Zum Teufel. Selbst Igor war schlau genug, ihn nicht mit sich rumzuschleppen. Das dürfte der Schlüssel zu seinem Safe bei der Bank sein.« Er gab ihm den Schlüssel zurück. »Dann sieh zu, dass du den Safe öffnest«, sagte er, plötzlich sanft. Zu sanft. »Und bring mir den richtigen Schlüssel.«
»Ja, sicher.« Er ließ ihn wieder in seine Tasche gleiten. »Warum solltest du auch irgendein Risiko eingehen ...« »Wie beliebt?«, fragte der andere samtig. Er begegnete dem dunklen Blick, ohne mit der Wimper zu zucken. »Ich suche Mädchen und bringe sie dir. Ich entführe Bailey für dich. Ich bringe Jared und Rhett für dich um. Jetzt gehe ich für dich zur Bank. Ich habe das volle Risiko. Du sitzt in deinem schicken Auto und wartest im Schatten, wie es schon immer gewesen ist.«
Einen Augenblick lang herrschte tödliches Schweigen, dann verzogen sich die Lippen zu einem winzigen Lächeln. »Sieh an. Hin und wieder zeigst du, dass du tatsächlich Mumm in den Knochen hast. Hol den richtigen Schlüssel und bring ihn mir.«
»Schön.« Er war zu müde, um zu streiten. Er legte den Gang ein und wollte den Wagen starten.
»Ich bin noch nicht fertig. Ich weiß, wo Bailey Wades Schlüssel versteckt hat.«
Er zog hörbar die Luft ein. »Wo?«
»Sie hat ihn an Alex Fallon geschickt. Diese Frau hatte ihn die ganze Zeit.«
Heilloser Zorn flammte in ihm auf und loderte hoch. »Ich finde ihn.«
»Ja, tu das. Oh, und da wir annehmen können, dass Fallon ein wenig schlauer ist als Igor, wird sie ihn wohl nicht einfach mit sich herumtragen.« Das Fenster des Jaguars glitt hoch, und er fuhr davon.
Atlanta, Mittwoch, 31. Januar, 11.00 Uhr
Gretchen French war eine hübsche Frau, die nicht jedem ihr Vertrauen schenkte, dachte Daniel. Also schwieg er und überließ Talia die Führung des Gesprächs. »Bitte setzen Sie sich«, sagte Gretchen. »Was kann ich für Sie tun?«
»Agent Vartanian und ich ermitteln in einer Reihe von Sexualverbrechen.«
»Vartanian?« Gretchens Augen weiteten sich. »Sie sind Daniel Vartanian? Der die Untersuchung zu den Morden an Claudia Barnes und Janet Bowie leitet?«
Daniel nickte. »Ja, Ma'am.«
»Aber deswegen sind wir nicht hier, Miss French«, sagte Talia. »Während der Ermittlungen zu den drei Mordfällen -«
Gretchen hielt die Hand hoch. »Moment mal. Drei? Wer denn noch?«
»Wir haben heute Morgen die Leiche von Gemma Martin gefunden«, sagte Daniel, und Gretchen ließ sich entsetzt auf einen Stuhl fallen.
»Was geschieht hier? Das ist doch Wahnsinn.« »Wir verstehen, dass Sie schockiert sind.« Talias Stimme war ruhig, ohne herablassend zu wirken. »Aber wie ich schon sagte, sind wir nicht hier, um diese Todesfälle anzusprechen. Während unserer Ermittlungen sind wir auf Hinweise für frühere Sexualverbrechen gestoßen.« Talia beugte sich vor. »Miss French, ich wünschte, ich könnte es so ausdrücken, dass es für Sie leichter zu ertragen wäre, aber ich kann nicht. In der Zeit, in der damals Alicia Tremaine ermordet wurde, hat es eine Reihe von Vergewaltigungen gegeben. Sie waren im gleichen Alter wie Alicia. Sie sind mit ihr zur Schule gegangen.« Daniel sah Furcht in
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