Todesbraeute
Schuhe zubinden konnte. Wer wollte es ihm verübeln, dass er ablehnend reagierte?
Daniel ließ den Motor an und fuhr in Richtung Main Street. Er war vollkommen erschöpft, aber er wollte noch Lamar Washingtons Jazzbar suchen, bevor auch er endlich schlafen ging.
Dutton, Dienstag, 30. Januar, 1.40 Uhr
Nun fahren sie wieder, dachte Alex, während sie am Fenster ihres Bungalows stand und die Schlange von Autos beobachtete, die den Hügel herabrollte. Woher mochten sie kommen? Sie zog den Morgenmantel fester um ihren Körper. Ihr Frösteln hatte nichts mit der winterlichen Kälte draußen zu tun.
Sie hatte wieder geträumt. Blitz und Donner und Schreie. Durchdringende schrille Schreie. Sie war im Leichenschauhaus gewesen, und die Frau auf dem Tisch hatte sich aufgesetzt und sie mit leeren Augen angesehen. Doch diese leeren Augen waren Baileys gewesen, ebenso die Hand, die sie berührt und die sich wächsern und tot angefühlt hatte. »Bitte«, hatte die Leiche gesagt. »Hilf mir!« Alex war schweißgebadet und erbärmlich zitternd aufgewacht. Ein Blick auf Hope hatte ihr verraten, dass sie, Alex, offenbar nicht geschrien hatte: Das Kind schlummerte friedlich. Sie war aufgestanden und ins Wohnzimmer gegangen. An Schlaf war im Augenblick nicht mehr zu denken.
Bailey, wo bist du? Und was soll ich bloß mit deiner kleinen, süßen Tochter tun?
»Bitte, lieber Gott«, flüsterte sie. »Ich will nicht alles falsch machen.«
Aber Gott reagierte nicht, und Alex starrte aus dem Fenster und sah die Autos den Hügel herabkommen. Dann drosselte ein Wagen vor ihrem Haus das Tempo und hielt an. Ihr Magen zog sich vor Furcht zusammen, und sie dachte an die Pistole in der Kassette, bis sie das Auto und den Fahrer erkannte.
Daniels Wagen rollte die Main Street entlang, vorbei am Park mit dem Pferdekarussell und bis zu Alex' Bungalow, wo er anhielt. Er hatte sie vorhin belogen, und das schlechte Gewissen nagte an ihm.
Sie hatte ihn rundheraus gefragt, was er wusste, und er hatte behauptet, es gäbe nichts zu erzählen. Was, wie er sich selbst zugestand, nicht komplett gelogen war. Er hatte ihr wirklich noch nichts zu erzählen. Gewiss würde er ihr nicht die Fotos zeigen, auf denen ihre Schwester vergewaltigt wurde. Alex Fallon hatte schon genug durchgemacht. Er dachte an Wade Crighton. Wir sehen uns in der Hölle. Ihr Stiefbruder hatte Simon gekannt, und das konnte nichts Gutes heißen ...
Allem Anschein nach hatte Wade versucht, Alex zu vergewaltigen, und allein deshalb war Daniel froh, dass Wade tot war. Auch wenn Alex ihre Geschichte vorhin im lockeren und gleichmütigen Tonfall erzählt hatte, hatte Daniel doch die Wahrheit in ihren Augen sehen können. Und wenn ihr Stiefbruder sie im Glauben, sie sei Alicia, einmal belästigt hatte, dann hatte er sich vielleicht noch öfter an dem Mädchen vergriffen. Vielleicht war der Mann auf dem Foto mit Alicia Tremaine ja tatsächlich Wade. Der Mann hatte zwei Beine, so dass es nicht Simon gewesen sein konnte, aber wenn die beiden sich gekannt hatten ... Und wer waren die anderen Mädchen? Diese Frage wollte ihn nicht loslassen. Vielleicht waren es Mädchen aus der Stadt gewesen. Mädchen von der öffentlichen Schule. Daniel hätte sie nicht gekannt, aber Simon schon. Hatte es andere Kleinstadt-Morde gegeben, von denen er nur noch nichts gehört hatte? Waren auch all die anderen Mädchen auf den Fotos tot?
Du musst Chase die Bilder gehen. Seit einer Woche kreiste der Gedanke durch sein Bewusstsein. Zum Glück hatte er sie der Polizei in Philadelphia gegeben, was der einzige Grund war, warum er überhaupt schlafen konnte. Aber Daniel war sich ziemlich sicher, dass Detective Vito Ciccotelli noch keine Zeit gehabt hatte, etwas wegen dieses Beweismaterials zu unternehmen. Vito und sein Partner hatten immer noch alle Hände voll damit zu tun, sich durch das grausige Chaos zu kämpfen, das Simon in seiner Mordlust hinterlassen hatte.
Wir sehen uns in der Hölle, Simon. Und was für ein Chaos mochten Wade und Simon wohl gemeinsam hinterlassen haben? Natürlich war jedes Verbrechen, das die beiden begangen hatten, wahrscheinlich schon über zehn Jahre her. Und nun hatte er ein nagelneues Verbrechen zu klären. Er war es Janet Bowie schuldig, seine ganze Aufmerksamkeit der Aufklärung ihres Falls zu widmen. Warum hatte sie sterben müssen? Und warum auf diese Art? Der Zustand ihrer Leiche ließ darauf schließen, dass der Mörder von Hass getrieben worden war. Dennoch konnte es
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