Todesdrang: Thriller (German Edition)
hatte nur keine Ahnung, wie er das anstellen sollte. Er wusste ja nicht einmal, mit wem er es zu tun hatte. Aber allem Anschein nach schreckte der Unbekannte vor Gewalt nicht zurück, was ihn umso unberechenbarer machte. Und umso gefährlicher.
Dirk fuhr den Computer hoch und loggte sich bei Netfriends ein. Er wollte sich ablenken, mit jemandem virtuell in Verbindung treten. Obwohl er normalerweise nicht der kontaktfreudigste Typ war, erhoffte er sich auf diese Weise ein wenig Zerstreuung. Immerhin bewahrte er sich über diesen Weg eine gewisse Distanz. Aber ebendiese Distanz war es, die ihn nun verharren ließ, während er die Porträts seiner Kontakte betrachtete. An wen sollte er sich wenden? Mit keinem seiner Netzbekanntschaften hatte er in letzter Zeit engeren Kontakt gehalten. Hier ging es allenfalls um den Austausch von Banalitäten. Darum, auf sich aufmerksam zu machen, aus sicherer Distanz, um nicht zu viel von sich preiszugeben. Man teilte Belanglosigkeiten mit, alle redeten gleichzeitig, und niemand hörte zu.
Während Dirk auf die 258 Kontakte seines Profils starrte, bei denen es sich größtenteils um Geschäftskunden und Mitarbeiter der Bank handelte, allenfalls flüchtige Bekannte, fühlte er sich plötzlich einsam. Er hatte alles, nur keine wirklichen Freunde.
Wünsch dir was , schoss es ihm durch den Kopf.
Aber Freunde konnte man nicht einfach herbeizaubern. Man musste sie sich verdienen, und was das anging, war sein Engagement in den letzten Jahren eher bescheiden gewesen. Augenblicklich überfiel ihn eine gewaltige Leere.
Willkommen in der modernen Welt der Kommunikation , dachte er sarkastisch. Nur Gesichter auf einem Bildschirm.
Plötzlich öffnete sich ein längliches Fenster auf dem Monitor. Zu seiner Überraschung stellte Dirk fest, dass er – zum ersten Mal überhaupt während seiner Online-Existenz – eine Chat-Anfrage erhalten hatte. Üblicherweise kommunizierte er nur über sein Postfach mit den Leuten.
Neugierig betrachtete er das Bild, das auf der linken oberen Seite des Fensters angezeigt wurde. Es zeigte das füllige Gesicht eines schmallippig lächelnden Mannes mit gepflegtem, an den Schläfen bereits leicht ergrautem Haar. Es sah aus wie ein typisches Bewerbungsfoto. Der Name des Mannes war Peter Brunner, und er war Mitglied ihres Stammtischs, der jeden Freitagabend stattfand, dem Dirk aber in den letzten Wochen ferngeblieben war. In der oberen Zeile des Textfensters stand in blauer Schrift eine simple Grußformel:
>Hallo, Dirk!
Im ersten Moment war Dirk etwas irritiert. Er kannte Peter Brunner als einen geselligen Menschen, der gerne mal einen über den Durst trank, und er mochte ihn im Grunde. Doch außerhalb des Stammtischs hatten sie einander nie viel zu sagen gehabt. Dirks Finger glitten über die Buchstaben der Tastatur.
>>Hallo, Peter! Was verschafft mir die Ehre?
Seine Antwort folgte prompt:
>Langeweile!
Dirk musste grinsen.
>>Bist Du zu Hause?
>Ja, hab mir ’ne Grippe eingefangen. Sauwetter! Lass mich diese Woche krankschreiben.
Brunner, der als äußerst pflichtbewusst galt, war Generalagent einer großen deutschen Versicherung in Koblenz, so viel wusste Dirk. Es musste ihn also ziemlich erwischt haben, wenn er daheim im Bett blieb.
>>Hühnerbrühe soll bekanntlich helfen.
Allmählich begann Dirk Gefallen an dieser harmlosen Art der Konversation zu finden.
>Da trink ich doch lieber ein warmes Bier.
Noch bevor Dirk sich schmunzelnd eine Antwort überlegen konnte, erschien eine weitere Zeile:
>Und wie geht’s Dir so? Warst lange nicht mehr in unserer Runde.
Dirk überlegte einen Moment. Wie ging es ihm? Beschissen wäre noch geprahlt. Dennoch beschloss er, dies vorerst nicht zu erwähnen.
>>Hatte keine Zeit. Der Job, Du kennst das ja.
>Ja, aber gerade nach einer harten Woche freue ich mich auf unseren gemeinsamen Freitagabend. Also erzähl schon: Was ist los? Ärger daheim?
Verwundert starrte Dirk auf die letzte Zeile. Es war eigentlich nicht Peter Brunners Art, ihm derart direkte Fragen zu stellen. Dennoch juckte es ihm umgehend in den Fingern, darauf zu antworten und sich seinen Frust von der Seele zu reden.
>>Nein. Habe Ärger mit irgendeinem Typen. Hat mein Auto demoliert und es mit Säure übergossen.
Gespannt wartete Dirk auf die Reaktion.
>Heiliger Strohsack!
Das klang schon eher nach Brunner, fand er.
>Hast Du einen Verdacht, wer dahintersteckt?
Dirk, der langsam Vertrauen fasste, dachte kurz nach.
>>Nicht konkret. Aber es gibt da
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