Todesdrang: Thriller (German Edition)
einen Gegenstand umklammert. Erst als der Mann sich zur Kamera drehte, konnte Dirk erfassen, um was es sich dabei handelte.
Er traute seinen Augen nicht, als er den Aufkleber erkannte. Ein Schutzengel, der mit einem Stab Feenstaub versprühte.
Es bestand kein Zweifel: Der Mann hielt seine Kettensäge in der Hand, trug seinen Schutzanzug und seinen Helm. Wie in aller Welt war das möglich?
Dirks Atem ging stoßweise, während er fassungslos verfolgte, was nun geschah.
In Kuhns Augen flackerte die blanke Todesangst, als der Mann in dem Schutzanzug neben ihn trat und ruckartig an dem Starterseil der Kettensäge zog. Verzweifelt bäumte er sich gegen seine Fesseln auf. Der Stuhl, an den er gekettet war, geriet ins Wanken. Sein Schrei klang dumpf durch den Knebel und wurde schließlich vom Lärm der anspringenden Kettensäge verschluckt, deren Reißzähne sich langsam Kuhns Hals näherten.
Das kann er nicht tun , sagte sich Dirk in Gedanken und versuchte damit das Unfassbare zu verdrängen, das die Bilder vor ihm heraufbeschworen. Hör auf damit!
Doch er wusste, dass dies nicht passieren würde, denn er kannte die Entschlossenheit dieses Geisteskranken, der bereits seinen Sohn auf dem Gewissen hatte.
In dem Moment, als der Motor der Säge aufheulte und sich die Kette in den Hals von Christian Kuhn grub, als Blut und Gewebefetzen zu spritzen begannen, schlug Dirk die Hände vors Gesicht und sank neben dem Schreibtisch auf die Knie. Sein Magen zog sich zusammen. Würgend übergab er sich in den Papierkorb. Die Geräusche, die aus den Lautsprechern des Computers zu ihm drangen, ließen ihn immer wieder husten und spucken, bis er nur noch Magensäure erbrach. Das Kreischen der Motorsäge ließ nach, und ein dumpfes Poltern erklang. Dirk brauchte nicht viel Fantasie, um sich auszumalen, was soeben auf den Boden gefallen war. Dann knatterte die Motorsäge wieder los. Anscheinend hatte dieser Irre sein Werk noch nicht vollendet.
Er zerlegt ihn in seine Einzelteile , spukte es Dirk durch den Kopf. Er tut das, was ich Kuhn angedroht habe! Und bei dieser Vorstellung wurde ihm fast schwarz vor den Augen. Erneut hörte er ein Poltern.
Ohne seinen Blick in Richtung Bildschirm zu wenden, tastete Dirk nach der Computermaus, konnte sie jedoch nicht finden. Er sah hin, nur für eine Sekunde.
Kuhns kopfloser Körper saß zusammengesunken auf dem Stuhl. Auch sein rechter Arm fehlte, war am Schulteransatz abgetrennt worden. Als Dirk aus den Augenwinkeln heraus sah, wie der Mann die Säge auf der anderen Seite ansetzte, gelang es ihm endlich, den Videoplayer per Mausklick zu schließen.
Anklagende Stille. Nur das schwarze Chatfenster verblieb auf dem Bildschirm.
Dirk atmete hektisch ein und aus. Schwarze Punkte tanzten vor seinen Augen, und er hatte einige Sekunden lang das Gefühl, ohnmächtig zu werden. Dann hörte er sich selbst schreien. Immer wieder rief er Ankes Namen, als könnte sie die Dinge ungeschehen machen, als könnte sie ihm sein altes Leben zurückgeben, das unwiederbringlich verloren war.
Er schien am Ende seiner Kräfte angelangt zu sein. Seine Glieder fühlten sich taub an, als wäre jegliches Gefühl daraus entwichen. Er spürte nur noch eine große Leere in sich.
Noch immer flackerten die grausamen Bilder über seine Netzhaut, sie hatten sich auf ewig in sein Gedächtnis gebrannt.
Auch du wirst einsehen müssen, dass wir einander gleichen.
Nein! Niemals!
Er zwang sich, seine Augen wieder auf den Bildschirm zu richten. Das Chatfenster zeigte einen neuen Eintrag an:
>Du hast Post! Ich warte eine Stunde auf Dich …
Dirk begann damit, etwas zu erwidern, doch kaum hatte er die Tastatur berührt, schloss sich das Chatfenster, und der Rechner wurde ohne sein Zutun heruntergefahren.
»Du hast Post«, sprach Dirk zu sich selbst, während er noch immer wie gelähmt auf den schwarzen Monitor starrte. Dann begriff er. Und der Gedanke, der sich ihm nun offenbarte, ließ ihm das Blut in den Adern gefrieren.
Er sprang auf und rannte die Treppe hinunter in die Küche. Atemlos blieb er vor der dunklen Arbeitsplatte stehen und betrachtete das Paket darauf, über das er vorhin beinahe vor seiner Haustür gestolpert wäre.
Konnte das tatsächlich wahr sein? War das die Spitze des Wahnsinns, der ihn heimsuchte?
Das Paket war an mehreren Stellen mit Klebeband umwickelt. Kein Sendeaufkleber, kein Absender. Nur blanker, brauner Karton.
Dirk nahm ein Küchenmesser, durchtrennte vorsichtig die Klebestreifen und hob den
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