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Todesengel: Roman (German Edition)

Todesengel: Roman (German Edition)

Titel: Todesengel: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Andreas Eschbach
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hier irgendwo einen Verbandskasten?«, rief er Peter nach, der sich gerade in Bewegung setzte.
    Peter blieb wieder stehen, irritiert. »Ja, in der Sakristei müsste –«
    »Bring ihn auf dem Rückweg mit«, sagte Ulrich. »Erst der Notruf.«
    »Okay«, sagte Peter noch einmal. Nun rannte er.
    Victoria eilte zu Ulrich, obwohl sie keine Ahnung hatte, was sie tun sollte. Sie sah zu, wie Ulrich Alex’ Körper abtastete, registrierte, wie sich seine Brauen dabei hoben.
    »Völlig abgemagert«, konstatierte er. »Ist wohl der Kreislauf.« Er zog seinen Parka aus, hüllte Alex darin ein, hob dessen Beine an und bat: »Kannst du ihm die so hochhalten?«
    »Ja.« Victoria umfasste die Beine, hielt sie und erschrak, wie dünn und knochig sie sich anfühlten. Als hielte sie ein Skelett.
    Ulrich lockerte Alex’ Kleidung, schälte ihn aus dem Mantel, riss den blutigen linken Ärmel mit einer raschen, entschlossenen Bewegung auf. »Ein Streifschuss«, meinte er. »Nur eine Fleischwunde.« Er nestelte an einem Gewirr blutdurchtränkter Streifen herum. »Hat schon mal jemand verbunden.«
    Peter kam eilig angeschlurft, einen grauen, verstaubten Plastikkoffer in der einen Hand und etwas, das aussah wie ein zu groß geratenes, knallrotes Kofferradio in der anderen. »Krankenwagen kommt so schnell wie möglich«, erklärte er keuchend. »Und das ist das, was wir an Notfallausrüstung haben. Verbandskasten und Defibrillator.«
    Ulrich nahm ihm den grauen Koffer ab. »Den Defi kannst du wieder wegtun, den brauchen wir nicht.« Er öffnete den Verbandskasten, schien genau zu wissen, wonach er greifen musste. »Hast du einen Hocker oder so etwas, auf dem wir seine Beine hochlagern können? Er ist so dürr wie ein Gulag-Flüchtling, aber auf die Dauer wird er Vicky trotzdem zu schwer, schätze ich.«
    »Es geht noch«, sagte sie tapfer.
    »Ich schau mal, was ich finde.« Peter eilte wieder davon.
    Ulrich erneuerte den Verband mit knappen, sicheren Handbewegungen. Als er merkte, wie ihn Victoria dabei beobachtete, lächelte er flüchtig und meinte: »Das lernen wir alle. Angeschossene Kameraden versorgen, bis der Arzt eintrifft. Zur Not im Dunkeln und bei Windstärke zehn.«
    »Hätte man Herrn Holi auf die Weise damals retten können?«, fragte sie leise und beklommen.
    Er überlegte kurz, schüttelte dann den Kopf. »Nein. Holi hat vermutlich ein tödliches Schädel-Hirn-Trauma erlitten. Die Tritte gegen seinen Kopf, verstehst du? Die haben draufgetreten, wie man gegen einen Fußball tritt. Und ein Fußball fliegt danach hundert Meter weit. Kannst dir vorstellen, wie viel Energie das ist.« Er zurrte den Verband fest. »Solche Tritte sind so tödlich wie eine Waffe.«
    Victoria horchte auf, angerührt von dem kaum merklich veränderten Klang seiner Stimme bei dem letzten Satz. Da hatte zum ersten Mal, seit er durch die Tür gekommen war, so etwas wie Gefühl mitgeschwungen.
    Sie betrachtete ihn und fragte sich, ob es ihm womöglich im Grunde genauso ergangen war wie ihr. Nur, dass er sich nicht in einem Haus versteckt hatte, sondern in seiner eigenen Seele.
    Peter kam an, brachte einen Polsterschemel mit, der aussah, als sei er aus der Zeit der Nierentische übrig geblieben. Sie schoben ihn unter Alex’ Beine, legten sie behutsam darauf ab.
    »Jetzt ist natürlich Berufsverkehr«, meinte Peter. »Ich hoffe, die kommen trotzdem durch.«
    »Dafür gibt’s ja Blaulicht.« Ulrich deckte Alex vollends zu und stand auf. Sein Hemd war olivfarben, sah aber nicht aus wie ein Uniformhemd.
    Alex bewegte sich, schlug mühsam die Augen auf, sah sie der Reihe nach an.
    »Na so was«, sagte er mit leiser, klarer Stimme. »Erstaunlich. Wirklich.«
    »Was?«, fragte Ulrich. »Was findest du erstaunlich?« Victoria hatte den Eindruck, dass er versuchte, Alex wach zu halten.
    »Dass wir uns vor dem Ende noch einmal treffen«, erklärte Alex. »Alle vier. Als gäbe es doch so etwas wie Bestimmung. Wie Schicksal. Oder? Sagt es mir. Gibt es das Schicksal? Ich weiß es nicht. Ich war mir mal sicher, aber ich bin es nicht mehr.«
    »Das kann niemand wissen«, erwiderte Ulrich. Er räusperte sich. »Stimmt es, was Peter sagt? Dass du der Racheengel bist, den sie suchen?«
    Alex antwortete nicht, lächelte nur schmerzlich und fasste mit der rechten Hand in die Tasche seines Mantels. Im nächsten Augenblick leuchtete der Mantel hell auf, wurden Alex’ Haare länger und begannen weiß zu erstrahlen. Victoria hielt den Atem an. Das Licht schien von ihm

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