Todesengel: Roman (German Edition)
Winkeln seiner Augen, ließen seine Schläfen schimmern. Sein Atem ging stockend.
»Ich hab damals wieder Peyote genommen, gegen die Schmerzen, gegen den Hunger. Und da hatte ich die Erleuchtung. Die Eingebung, was ich tun muss. Jetzt weiß ich’s, hab ich gedacht. So macht mein Leben doch noch einen Sinn, auf den letzten Metern wenigstens, auf der Zielgeraden. Ich hatte ja nichts mehr zu verlieren, versteht ihr? Das hieß, ich konnte machen, was ich wollte. Alles hat gepasst. Das Kostüm. Meine Geschichte.« Er lachte auf, oder vielleicht war es auch ein Schluchzen; man hörte den Unterschied nicht. » Unsere Geschichte. Wie viele Holis hat es seither gegeben? Dutzende. Bloß, dass man sie heute nicht mehr feiert. Heute verschweigt man sie.«
Keuchen. Tränen, die dunkle Seen rechts und links von seinem Kopf bildeten.
»Ich habe nur einen Weg gesehen, das Andenken an Florian Holi zu ehren; nur einen einzigen: dafür zu sorgen, dass nie wieder jemand so sterben muss. Ich hab geglaubt, das sei die Aufgabe, für die ich ausersehen gewesen bin. Ich wollte dort auftauchen, wo Unschuldigen Gewalt angetan wird, und die, die es tun, auf der Stelle richten. Angst und Schrecken unter ihnen verbreiten, weil das die einzige Sprache ist, die sie kapieren. Und es hat funktioniert. Anfangs. Ich hab mich geleitet gefühlt. Ich war mir sicher, das Richtige zu tun, so sicher …«
Er zog die Arme wieder an sich, drehte sich wieder in Richtung des Altars.
»Aber jetzt … jetzt weiß ich es nicht mehr. Jetzt kommt es mir so vor, als hätte ich es versiebt. Als hätte ich mein Leben letzten Endes einfach verpfuscht, genauso wie jeder von diesen Idioten …«
Victoria kniete sich, einem Impuls folgend, neben ihn auf den Boden und nahm seine Hand in die ihre. »Du hast dein Leben nicht verpfuscht«, sagte sie ruhig.
Er sah sie an, mit Augen, die fiebrig glänzten, schon in eine andere Welt zu blicken schienen. »Meinst du?«, fragte er kläglich.
»Ich bin mir ganz sicher.«
Alex musterte sie, lange. Dann flüsterte er: »Gut.« Seine Augen fielen zu, im selben Moment, in dem die Kirchentür geöffnet wurde.
38
Es regnete beinahe . Das an den Friedhofsbäumen verbliebene Blattwerk schimmerte feucht, ab und zu spürte man einen Tropfen. Die Wolken hingen tief, schienen sich aber nicht entschließen zu können. Jeder der zahlreichen Trauergäste hatte einen Schirm dabei, doch niemand spannte einen auf.
In Peter wirkten noch die chaotischen Tage nach, die hinter ihnen lagen – die Befragungen durch die Polizei, stundenlang, bis jedes Detail auf Band und in Protokollen erfasst war. Die aufgeregten Fernsehleute, die es am liebsten gehabt hätten, man hätte alles vor ihren Kameras noch einmal aufgeführt. Die Wälder von Mikrofonen, die man ihnen vor die Gesichter gereckt hatte. Die aufdringlichen Reporter. Die Blitzlichtgewitter. So, wie sie in Filmen dargestellt wurden, hatte Peter es immer für Übertreibung aus dramaturgischen Gründen gehalten: Nun wusste er, dass eher das Gegenteil der Fall war.
Würde er selber vor Gericht kommen? Vermutlich, zumindest meinte das sein Anwalt. Die Polizei hatte sich sehr für den genauen zeitlichen Ablauf aller Ereignisse interessiert. Wer wo wann was gemacht, wer wann welchen Wissensstand gehabt, wer mit wem in Kontakt gestanden hatte. Eine wichtige Rolle würde spielen, bis wann er sich irrtümlich durch das Beichtgeheimnis gebunden geglaubt hatte – aber wie wollte man das, was er dazu sagte, beweisen oder widerlegen? Auf alle Fälle hatte er in letzter Zeit schlecht geschlafen.
Die Beerdigung kam ihm nun vor wie eine Atempause. Besonders, weil er darauf gefasst gewesen war, dass die Presse den Friedhof belagern würde. Alle waren sie darauf gefasst gewesen – und nun war gar niemand gekommen. Keine Kameras, keine Reporter. Nur die Familie, Freunde von früher, ein paar Schulkameraden, die er ewig nicht mehr gesehen hatte.
Alexander war noch am selben Wochenende im Krankenhaus gestorben, am Sonntag um die Mittagszeit, wobei sich die Ärzte nicht einig waren, woran eigentlich. Seiner Schwester Theresa hatte der behandelnde Stationsarzt erklärt, Alex’ Allgemeinzustand sei so schlecht gewesen, dass er längst hätte tot sein müssen. Eine Ärztin aus dem Notfallbereich hatte eingestanden, dass man zu wenig über die Drogen wusste, die Alex vor allem in den letzten Monaten seines Lebens in enormen Dosen zu sich genommen hatte.
Alexanders Eltern hatten sich dagegen entschieden, Peter
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