Todesengel: Roman (German Edition)
David Mann in dessen Sportschule aufsuchte?
Der Umstand, dass es sich um körperliche Auseinandersetzungen handelte, natürlich. Das war ihm schon klar. Es half bloß nichts, dass ihm das klar war.
Er ließ den Hörer los. Schluss damit. Dann würde er sich eben durch zähe Luft bewegen. Er musste dorthin, Punkt. Ingo schnappte seine Tasche und eine Jacke und ging.
Die Fahrt raus nach Spannwitz dauerte eine gute halbe Stunde, dafür fand er die Adresse auf Anhieb. Schule für KRAV MAGA . Da stand es. Das Schild schimmerte makellos. Ingo stieß die Tür auf, stieg die Treppe hoch, immer den Pfeilen nach. Eine opulente Glastüre, ein Aufkleber, der auf das Vorhandensein einer Alarmanlage hinwies. Er zog die Tür auf, betrat Räume von klinischem Weiß, nur der Boden bestand aus freundlich schimmerndem Holz. Geräusche von irgendwoher, Gespräche, Gelächter, das Klappern von Metallspinden, das Quietschen von Gummisohlen auf Parkett. Eine Glasscheibe, dahinter ein Büro, aus dem David Mann ihm zuwinkte.
»Sie kommen gerade richtig, um sich ein Training echter Profis anzuschauen«, begrüßte ihn der Selbstverteidigungs-Lehrer. Wie anders er im Trainingsanzug aussah! Man merkte, dass er in seinem Element war.
»Okay«, sagte Ingo, dabei wäre er am liebsten gleich wieder gegangen. Aber nun war er schon mal hier, und er hatte ja ein Anliegen. Daran hielt er sich fest.
Es ging in einen – wie nannte man das? Trainingsraum? Turnhalle? Ein großer, schmuckloser Raum, der aussah, wie solche Sporträume eben aussehen: kahl, mit Sprossenwänden an einem Ende und einem Stapel blauer Matten am anderen. Einige wandhohe Spiegel, wobei Ingo nur eine verschwommene Vorstellung davon hatte, wozu sie dienen mochten. Ein gutes Dutzend junger Männer in Sportkleidung war schon da, es kamen noch ein paar hinzu, während er sich umsah.
Was hieß jung? Die meisten waren in seinem Alter, bloß muskulöser, besser trainiert, mit der Ausstrahlung von Olympioniken. Ingo fühlte sich klein und bedeutungslos angesichts so viel geballter Virilität, aber David Mann stellte ihn vor, erklärte, er sei Journalist und wolle sich das Krav-Maga-Training mal ansehen, und als einer der Männer, einer mit kurzen, dunkelblonden Locken und einem kecken Oberlippenbärtchen, meinte: »Machen Sie nicht diese Sendung im Fernsehen?«, und Ingo bejahen musste, waren alle spürbar beeindruckt.
»Was wir hier machen, ist die Ausbildung von Trainern für den Bundesgrenzschutz«, erklärte David Mann Ingo anschließend. »Ich bringe ihnen also nicht einfach Krav Maga bei, sondern darüber hinaus, wie sie anderen Krav Maga beibringen können.«
Ingo nickte, blinzelte. »Ist das nicht, ähm … geschäftsschädigend?«, entfuhr es ihm.
Alle lachten, aber es war ein sympathisches Lachen, so, als hielten sie das für einen gelungenen Witz.
»Oh je«, meinte auch David Mann grinsend. »Ich glaube, der Markt ist viel zu groß für solche Befürchtungen.«
Dann ging es los. Eine Reihe anstrengend aussehender Übungen, um sich warm zu machen, anschließend erklärte David Mann eines der Grundkonzepte der Ausbildung. »Wir bilden immer zwei Gruppen, die einen spielen die Angreifer, die anderen verteidigen sich. Das steigern wir nach und nach. Wir beginnen mit einem Angreifer und einem Verteidiger, spielen verschiedene Arten des Angriffs durch. Dann zwei Angreifer, ein Verteidiger. Drei. Vier. Dann Gruppen von Verteidigern – fünf Angreifer, zwei Verteidiger. Und so fort. Das geht natürlich über viele Unterrichtsstunden. Die grundlegenden Griffe, Stöße und Hebel müssen sitzen, bevor zehn Leute auf einen losgehen. Wir verwenden auch Schutzkleidung, damit Boxhiebe, Schläge und dergleichen mit voller Wucht ausgeführt werden können. Das schauen wir uns nachher einmal an. Vorher will ich Ihnen erklären, was Sie über die Psychologie von Angreifern und den Ablauf von Angriffen wissen sollten.«
Die Männer, die um den Trainer herumstanden, waren die aufmerksamsten Zuhörer, die sich jemand wünschen konnte. Ingo beobachtete sie neiderfüllt. Er musste an den alten Spruch vom gesunden Geist in gesunden Körpern denken und kam sich schrecklich unzulänglich vor, wie ein trockener Ast in der Gesellschaft saftvoller, elastischer, starker Triebe.
»Was Sie sich immer wieder klarmachen müssen«, begann David Mann seinen Vortrag, »ist, dass jemand, der Sie angreift, völlig anders tickt als Sie selber. Ein Krimineller hat eine grundlegend andere Weltsicht, unter
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