Todesfahrt: Thriller (German Edition)
musst du nur so stur sein wie ein Esel?«, stöhnte Dietrich. »Die Sache wird hart, und ich will nicht, dass dir etwas passiert!«
»Lassen Sie es gut sein, Herr Major. In ihrem Kopf hat nichts anderes Platz als das Verlangen nach Rache. Wenn Sie sie hier zurücklassen, macht sie sich allein auf den Weg, so viele Feinde ihres Stammes niederzumetzeln, wie sie erwischen kann.«
Zu seinem Leidwesen musste Dietrich Fahrner recht geben. Auch wenn Jamanah sich sonst als gelehrig erwies, war sie in dieser Hinsicht völlig uneinsichtig.
»Also gut, ich nehme dich mit. Aber nur bis auf das Schiff, verstanden?«
Jamanah begriff, dass er nachgab, und lächelte zufrieden.
Fahrner hingegen sagte sich, dass sie mit dem Schiff sehr wahrscheinlich die Caroline meinte, und nicht wie sein Major die Tonnerre .
DREIUNDZWANZIG
F
rau Dr. Kainz sehnte sich in ihr Hospitalzelt bei Xagal zurück. Dort wurde sie zwar auch von Patienten überrannt, doch wenigstens ließen sich die Menschen dort behandeln, ohne jeden ihrer Schritte zu hinterfragen. Hier aber wollte jeder der Erste sein, um den sie sich kümmern sollte, und dazu auch noch stundenlang mit ihr reden. Sie verstand die befreiten Geiseln, doch sie war eine schlichte Allgemeinmedizinerin und keine ausgebildete Psychologin, die helfen konnte, die Schrecken der Geiselhaft zu verarbeiten. Außerdem hatte sie zu viel zu tun, um sich jedem Einzelnen länger als ein paar Minuten widmen zu können.
Ihr jetziger Patient aber schlug alle anderen Passagiere um Längen. Es handelte sich um das Mitglied des Deutschen Bundestags Dunkhase. Ein anderer Mann hatte ihn kurz zuvor noch als elenden Simulanten beschimpft, doch Dr. Kainz war anderer Meinung. Irgendeine Krankheit steckte in dem Mann, wahrscheinlich eine Infektion, das sagte ihr ihre Erfahrung. Doch was es war, hatte sie noch nicht herausgefunden.
»Sorgen Sie dafür, dass ich umgehend nach Deutschland ausgeflogen werde! Als Bundestagsabgeordnetem und Mitglied mehrerer wichtiger Ausschüsse steht mir das zu«, erklärte er ihr eben mit matter Stimme.
»Tut mir leid, aber das steht nicht in meiner Macht«, antwortete sie.
Dunkhase gab nicht auf. »Dann rufen Sie den Botschafter an. Er muss das veranlassen!«
»Die Republik Somaliland ist von der Bundesrepublik Deutschland bisher nicht offiziell anerkannt worden. Daher gibt es hier keinen deutschen Botschafter und auch keinen Konsul. Ich selbst bin Angehörige einer nichtstaatlichen Hilfsorganisation und habe keine Möglichkeit, Ihnen zu helfen. Außerdem muss ich mich um meine restlichen Patienten kümmern. Es waren immerhin mehr als zweieinhalbtausend Menschen auf der Lady of the Sea , und von denen sind viele krank.«
»Aber ich bin Bundestagsabgeordneter!«
Dr. Kainz maß den Kranken mit einem tadelnden Blick. »Das ist Frau Blauert auch, und die Dame macht keinen solchen Wirbel um diese Tatsache, obwohl sie ebenfalls medizinischer Betreuung bedarf.«
Anja Kainz begriff, dass Dunkhase nicht zu einem Ende kommen würde, und verließ das Zimmer. Draußen hörte sie ihn noch schimpfen. In Stress-Situationen, dachte sie, zeigen die Menschen ihr wahres Gesicht. Viele wachsen dabei über sich hinaus, andere hingegen …
Sie konnte den Gedanken nicht fertig spinnen, denn in dem Augenblick trat eine dunkelhäutige französische Krankenschwester auf sie zu.
»Entschuldigen Sie, Frau Doktor. Aber ich war eben bei den gefangenen Piraten. Ein paar von ihnen geht es sehr schlecht. Dabei sind sie nicht einmal verletzt.«
»Ich komme!« Als Dr. Kainz der Schwester folgte, war ihr klar, dass sie an diesem Tag wohl wieder eine Aufputschpille benötigen würde.
Die verletzten und die kranken Piraten waren in einem Haus untergebracht, dessen Fenster so klein waren, dass selbst ein Kind nicht hindurchschlüpfen konnte. Von den Männern, die hier auf einfachen Decken auf dem Boden lagen, wäre jedoch ohnehin keiner in der Lage gewesen, zu fliehen.
Als die Ärztin eintrat, musterte sie als Erstes die Verbände, die von den Krankenschwestern und Pflegern angelegt worden waren. Hier gab es nichts zu beanstanden. Sorge bereiteten ihr allerdings die drei Männer, die in einer Ecke lagen und mit fiebrig glänzenden Augen an die Decke starrten. Sie waren so apathisch, dass sie nicht einmal merkten, wie Dr. Kainz sich neben sie kniete und sie untersuchte.
»Das sieht nicht gut aus«, flüsterte die Ärztin und blickte vorwurfsvoll zu der Krankenschwester auf, die sie geholt hatte. »Das
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