Todesfahrt: Thriller (German Edition)
Kameraden um. »Die ist verrückt, das weißt du doch. Wenn wir ihr nichts geben, fängt sie noch an zu schießen.«
»Man sollte ihr das Gewehr abnehmen«, antwortete der Mann verärgert.
Der andere Soldat lachte leise auf. »Versuch es doch! Aber ich weiß nicht, ob die Doktor-Frau danach alle Löcher in deinem Körper zustopfen kann.«
»Die Weiße ist genauso verrückt wie die da!«
Sein Kamerad tippte sich an die Stirn. » Du bist verrückt! Wir können froh sein, dass die Deutsche hier ist. Sie hat schon vielen von uns das Leben gerettet.«
Unterdessen schritt Jamanah durch das nächtliche Lager, bis sie das Zelt der Ärztin erreicht hatte. Es war kleiner als die Zelte, in denen die Flüchtlinge hausten, und von noch fremderer Bauart. Wie es geöffnet werden konnte, hatte Jamanah beobachtet. Sie klemmte sich die Wasserflasche unter den linken Oberarm, nahm die Schüssel in die linke Hand und zog mit der rechten den Reißverschluss auf.
Dr. Kainz schreckte im ersten Augenblick hoch, beruhigte sich aber, als sie ihre hochgewachsene Patientin erkannte. Diese schloss den Reißverschluss wieder, setzte sich in eine Ecke des Zeltes und begann zu essen. Dabei sagte sie kein Wort.
Vielleicht ist sie tatsächlich verrückt, fuhr es der Ärztin durch den Kopf. Immerhin hatte die Frau Entsetzliches durchlitten. Da die Somali sich jedoch friedlich verhielt, wandte sie sich wieder ihrem Hirsebrei zu, merkte aber rasch, dass sie mehr als das Doppelte von dem erhalten hatte, was sich in der anderen Schüssel befand. Sie trat auf Jamanah zu und schüttete einen Teil ihres Essens in deren Gefäß. Dabei achtete sie darauf, dass die fetten Hammelfleischbrocken, die sie selbst kaum über die Lippen brachte, bei ihrem ungebetenen Gast landeten.
Jamanah blickte überrascht auf. Freiwillig hatte ihr in der letzten Zeit niemand etwas gegeben. Während sie weiteraß, musterte sie die Fremde genauer. Gesicht und Arme waren zwar von der Sonne gebräunt, doch da sie den Kittel abgelegt hatte, konnte Jamanah die bleichen Oberarme sehen. Das schien die eigentliche Hautfarbe der Ärztin zu sein. Zwar hatte sie gehört, dass Leute in Europa und Amerika – wo auch immer diese Länder lagen – bleich wie Maden sein sollten, aber noch keinen Menschen aus dieser Gegend gesehen.
Neugierig stand sie auf, zog den Ausschnitt der Ärztin ein Stück herab und versuchte, den obersten Knopf zu lösen.
Dr. Kainz starrte sie zuerst verdattert an, hielt aber dann ihre Bluse fest. »Was soll das?«, fragte sie streng.
Doch da hob Jamanah das Kleidungsstück einfach und starrte auf den wie Elfenbein schimmernden Busenansatz. Die Brüste wurden vom BH verdeckt, und Jamanah verlockte es, zu sehen, ob diese auch so weiß waren. Aber sie begriff, dass die Frau das nicht mochte, und ließ sie los. Stattdessen zog sie sich in die Ecke zurück, legte sich mit der Kalaschnikow in der Armbeuge hin und ließ ihren Gedanken freien Lauf.
Wie schon so oft seit jenem entsetzlichen Tag stand ihr sofort wieder das fürchterliche Gemetzel vor Augen, und sie erlebte alles von neuem. Tränen liefen ihr die Wangen herunter. Nicht zum ersten Mal haderte sie damit, dass ihre Vergewaltigung nicht einmal geholfen hatte, einem anderen Menschen aus ihrer Familie das Leben zu retten. Geschändet worden zu sein und dann noch ihren Eltern und Geschwistern das Grab schaufeln zu müssen erfüllte sie mit glühendem Hass auf die Mörder.
Nun tauchte das Bild jener Frau, die sich Sultana Sayyida genannt hatte, so deutlich vor ihr auf, dass sie glaubte, sie anfassen oder besser noch auf der Stelle erschießen zu können. Nichts wünschte sie sich mehr, als dieser Blutsäuferin all das heimzuzahlen, was diese und ihre Handlanger ihr angetan hatten. Doch sie war nur eine Frau, die nun ganz auf sich gestellt war und nicht mehr besaß als ein Gewehr und eine Handvoll Schillinge. Wie sollte sie etwas gegen eine Person ausrichten, die mit fast einhundert Mann ihr Dorf angegriffen und zerstört hatte? Über dieser Frage schlief sie ein.
Die Ärztin aber lag noch lange wach und betrachtete ihren Gast im Schein einer Petroleumlampe. Noch wusste sie nicht, was sie von Jamanah halten sollte. Sie schätzte das Alter der jungen Frau auf zwischen sechzehn und zwanzig und deren Größe auf mindestens einen Meter neunzig. Dazu war die Somali schlank wie eine Palme und hatte ein hübsches, im Schlaf entspannt wirkendes Gesicht. Ihre Haut zeigte einen mittleren Braunton, während die nur
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