Todesfahrt: Thriller (German Edition)
worden waren. Leicht hätte sie auf eine davon fahren und sterben können.
Bei dem Gedanken war sie kurz davor, den Wagen stehen zu lassen und zu Fuß in Richtung Heimat zu gehen. Doch noch während sie darüber nachdachte, hörte sie in nicht allzu großer Entfernung Schüsse krachen. Sie unterschied ohne Mühe zwei Arten von Waffen. Die einen klangen ähnlich wie ihre Kalaschnikow. Die anderen hingegen feuerten in einem schnelleren Takt, der sie an die Maschinenpistolen erinnerte, mit denen Sultana Sayyidas Mordbrenner ihr Dorf überfallen und ihre Familie und ihre Freunde getötet hatten.
Unwillkürlich neigte sich ihre Sympathie den Männern mit den langsamer schießenden Waffen zu. Gleichzeitig fragte sie sich, was sie tun sollte. Am sinnvollsten erschien es ihr, den Wagen zu drehen und den Ort des Kampfes so weit wie möglich zu umfahren. Aber wenn die eine Partei Freunde waren und die anderen Feinde, so war es ihre Pflicht, zu Gunsten jener einzugreifen. Sie besaß fünf Feuerwaffen, die alle geladen waren, und zudem den großen Wagen. Vielleicht konnte das den Ausschlag geben. Den Gedanken, selbst bei dieser Schießerei umzukommen, schob sie von sich. Allah hatte ihr Leben erhalten, während alle anderen gestorben waren, und das musste seinen Grund haben.
Mit diesem Gedanken schaltete sie in einen schnelleren Gang. Da sie vergaß, die Kupplung zu treten, krachte es fürchterlich. Dann aber ruckte der Wagen, und sie fuhr mit der höchsten Geschwindigkeit, die sie sich zutraute, auf die Stelle zu, an der das Feuergefecht stattfand.
Nach einer Weile ließ der Gefechtslärm nach und verstummte dann ganz. Die letzten Schüsse, die sie vernahm, waren jene aus den Maschinenpistolen, die sie so hasste.
Jamanah erreichte eine Anhöhe und bewältigte diese problemlos. Als sie über die Kuppe fuhr, sah sie in der Ferne einige Kamelreiter, die sich hastig davonmachten und dabei mehrere unberittene Kamele mit sich führten. Sie fühlte Tränen der Enttäuschung in sich aufsteigen. Sowohl die Richtung, in die diese Reiter verschwanden, als auch deren Kleidung deuteten nicht auf Leute ihres Stammes hin, sondern eher auf Milizionäre des Warsangeli-Anführers Diya Baqi Majid. Bei den Männern, mit denen sie vor einigen Stunden aneinandergeraten war, musste es sich ebenfalls um dessen Leute gehandelt haben. Nun wurde ihr klar, dass sie sich auf deren Territorium befand, und sie schalt sich, weil sie nicht eher daran gedacht hatte.
Eine Bewegung zwischen den Felsen zog ihre Aufmerksamkeit auf sich. Angespannt richtete sie ihre Kalaschnikow darauf, schoss aber noch nicht. Da tauchte auf einmal ein Mann vor ihr auf und fuchtelte mit den Armen. Im ersten Impuls stieg Jamanah auf die Bremse, wollte dann aber wieder Gas geben und den Mann überfahren. Da hechtete von der Seite ein anderer Mann auf ihren Wagen zu, riss die Tür auf und richtete den Lauf einer Maschinenpistole auf ihren Kopf. Dabei sagte er etwas, das sie nicht verstand. Seine Geste jedoch war eindeutig.
Für einen Augenblick schwankte Jamanah, ob sie gehorchen und den Wagen anhalten oder weiterfahren und sich erschießen lassen sollte. Der Wunsch, weiterzuleben, den sie seit jenen schrecklichen Stunden nur noch schwach gespürt hatte, erwachte zu ihrer eigenen Überraschung nun mit aller Macht. Sie trat auf die Bremse, kuppelte den Gang aus und hob die Arme. Gleichzeitig verfluchte sie sich wegen ihrer Schwäche und spürte, wie ihr die Tränen über die Wangen liefen.
Obwohl ihr Blick getrübt war, erkannte Jamanah, dass sie es nicht mit Einheimischen zu tun hatte. Dafür sahen Waffen und Uniformen zu neu aus, und sie waren alle gleich gekleidet. Auch trugen die Männer Gürtel mit allen möglichen Ausrüstungsgegenständen und Helme, die die hellen, von der Sonne geröteten Gesichter beschatteten. Von solchen Leuten, sagte Jamanah sich, hatte sie wohl keine Gnade zu erwarten. Daher wollte sie nach ihrer Waffe greifen, um kämpfend zu sterben.
ZWÖLF
D
ietrich von Tarow starrte seinen Gefangenen verwirrt an. War es schon seltsam, dass ein so blutjunger Bursche allein mit einem großen Wagen in einer unwirtlichen Gegend spazieren fuhr, so verwirrten ihn die Tränen, die dem Jungen über das Gesicht liefen. Dennoch blitzten die braunen Augen des Burschen zornig auf, und Dietrich las in ihnen die Bereitschaft, bis zum Äußersten zu gehen.
Nun bedauerte er es, auf der Fahrerseite zugegriffen zu haben, denn die Waffen des Jungen lagen auf dem
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