Todesfee
Schlüssel, drückt ihn in ein Stück Wachs und stellt so die Form für den Abguss her. Du wirst wie ich feststellen, dass sich der Schlüssel, den ich gefunden habe – Gelasius’ eigener Schlüssel – fettig anfühlt. Eine Durchsuchung von Ledbáns Zelle oder seiner Werkstatt sollte den zweiten Schlüssel zutage bringen, falls er nicht angesichts der übrigen Beweise geständig ist.«
»Ich verstehe.«
»Trotz allem war es falsch, Pater Maílín, die wahren Umstände von Gelasius’ Tod vertuschen zu wollen.«
»Du musst mich verstehen. Ich glaubte wirklich, Gelasius habe Selbstmord begangen. In dem Fall wäre das Wesen seiner Arbeit enthüllt worden. Gefiele es dir, die gesamte Christenheit würde erfahren, dass einer ihrer größten Theologen Selbstmord begangen hat, weil er für die Vernichtung von ein paar heidnischen Büchern verantwortlich war?«
»Mir gefiele es, wenn die Christenheit aus einer solchen Tat lernen könnte. Dennoch war es eine größere Sünde, Beweise zu fälschen.«
»Ich wollte Gelasius vor der Verurteilung bewahren«, protestierte Pater Maílín.
»Hätte Gelasius Selbstmord begangen, hätte man ihn dafür verurteilt«, sagte Fidelma. »Wie schrieb doch Martial?
Wenn des Lebens Schmeichelei zerbricht,
stiehlt sich der Ängstliche ins Grab,
sieht nur der Tapfere dem Leben ins Gesicht.
|385| Aber, wie du oft gesagt hast, der Ehrwürdige Gelasius war ein tapferer Mann. Er hätte weitergelebt und seine Auffassung verteidigt, wäre er nicht ermordet worden. Ich überlasse es dir, Bruder Ledbán gefangen zu nehmen und weitere Anweisungen des Abtes abzuwarten.«
Sie lächelte traurig und wandte sich zur Tür.
»Muss denn das alles unbedingt an die Öffentlichkeit?«, rief ihr Pater Maílín nach. »Müssen wir das alles preisgeben?«
Fidelma blickte über die Schulter zurück. »Das liegt im Ermessen des Abts«, antwortete sie. »Glücklicherweise ist es nicht meine Aufgabe, ein moralisches Urteil über das zu fällen, was hier geschehen ist. Ich muss dem Abt lediglich die Wahrheit berichten.«
|386| DER ZIEHSOHN
»Fidelma! Bin ich froh, dass du da bist!«
Brehon Spélan wirkte etwas abgehetzt, als Fidelma die Kammer des alten Richters betrat. Sie kannte Spélan schon seit vielen Jahren und war auf seine Bitte hin nach Críonchoill, den Ort verwitterten Holzes, geritten. Er hatte ihr die Nachricht zukommen lassen, dass er dringend ihre Hilfe benötige. Nun zeigte sich auf seinem Gesicht ein erschöpftes, aber erleichtertes Lächeln, und er trat auf sie zu, um sie willkommen zu heißen.
»Was fehlt dir, Spélan?« Fidelma betrachtete ihn voller Sorge. Er schien jedoch vollkommen gesund zu sein, und einen Augenblick später bestätigte er ihr das.
»Es war nicht meine Absicht, dich zu beunruhigen, Fidelma«, entschuldigte er sich. »Ich soll heute Vormittag einen Fall anhören, in dem es um Tod durch mangelnde Aufsicht geht. Und nun hat man mich auch noch ins Nachbargebiet gerufen, um einen Fall von Sippenmord anzuhören. Bei dem Mordopfer dort handelt es sich um einen Geistlichen von adliger Herkunft, deshalb hat dieser Fall, wie du weißt, Vorrang. Ich muss leider gleich aufbrechen. Und dabei sind hier bereits alle Zeugen in dem Todesfall durch mangelnde Aufsicht herbestellt worden. Es ist zu spät, um die Anhörung abzusagen. Ich möchte dich bitten, mir einen Gefallen zu tun.«
Fidelma lächelte ironisch.
|387| »Du willst, dass ich die Anhörung in dem Fall hier übernehme?«
»Du hast die nötige Ausbildung«, erinnerte sie der alte Brehon, als hätte sie das in Frage gestellt.
Sie nickte. Da sie den Rang eines
anruth
besaß, der nur einen Rang unter dem höchsten lag, den die Gerichte vergeben konnten, hatte sie das Recht, in bestimmten Gerichtsfällen das Urteil zu sprechen, auch wenn ihre Hauptaufgabe als
dálaigh
darin bestand, die Anklage oder Verteidigung zuübernehmen und häufig auch darin, einfach nur Beweise zu sammeln, die dem hohen Gericht vorgelegt wurden.
»Ich vertrete dich natürlich. Tod durch mangelnde Aufsicht? Weißt du Genaueres?«
»Der Kläger ist ein Vater, dessen Sohn ums Leben gekommen ist, während er in einer Ziehfamilie untergebracht war. Das ist alles, was ich weiß, aber es sollte nicht schwierig sein. Ich habe eine Abschrift des
Cáin Íarraith
, des Gesetzes über das Leben in Ziehfamilien, falls du es benötigen solltest.«
Fidelma nickte kurz.
»Dafür wäre ich dir dankbar, Spélan. Das Gesetz ist mir zwar in groben Zügen
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