Todesfee
höchsten Richters. Er beträgt etwa zwanzig
séds
. Fécho der Schmied ist ähnlich eingestuft; sein Ehrenpreis beträgt ebenfalls zwanzig
séds
.«
»Das wissen wir«, unterbrach Colla sie brüsk. »Gerade wegen unserer gleichen Ehrenpreise haben wir den Vertrag über die Erziehung des Kindes abgeschlossen.«
Fidelma seufzte leise und gab dem Stellmacher ein Zeichen, sich wieder zu setzen. Es nützte wohl nichts, ihm die Regeln einer Gerichtsverhandlung zu erklären.
|393| »Lass uns deine Anklage hören, Fécho. Halte dich an die Fakten, soweit sie dir bekannt sind, und ergehe dich nicht in Geschichten, die du nur vom Hörensagen kennst oder die du nicht beweisen kannst.«
Der Schmied fuhr sich nervös mit der Hand durchs Haar.
»Der Name meines Sohnes war Enda, er war sieben Jahre alt. Ich behaupte, dass er ermordet wurde.«
»Ermordet?«, fragte Fidelma erschrocken. »Ich dachte, es ginge hier um Tod durch mangelnde Aufsicht?«
»Das dachte ich zunächst auch, bis Tassach …«
Fidelma hob die Hand und gebot ihm zu schweigen.
»Lass uns ganz von vorn anfangen. Als Erstes erzähle mir bitte, wie es kam, dass Enda als Ziehkind in Collas Familie gegeben wurde.«
»Ich kannte Colla gut, denn er ist Stellmacher und brachte mir oft Arbeit in meine Schmiede. Seine Werkstatt liegt auf der anderen Seite des Hügels. Mir kam der Gedanke, dass Colla, der selbst mehrere Kinder und zwei Lehrlinge hat, die er in der Kunst des Wagenbauens unterweist, der beste Mann wäre, um meinen Sohn aufzuziehen. Vor einem Monat haben wir den Vertrag abgeschlossen.«
»Und übernahm er diese Aufgabe aus Zuneigung oder gegen Bezahlung?«
Fécho zuckte mit den Schultern.
»Wie wir schon erklärt haben, sind wir arme Leute. Deshalb vereinbarten wir, dass ich Colla meine Dienste ohne Bezahlung zur Verfügung stellen würde und Colla im Gegenzug mein Kind aufziehen und ihm sein Handwerk beibringen sollte.«
Fidelma nickte nachdenklich.
»Und du sagst, darauf habt ihr euch vor einem Monat geeinigt?«
»Richtig.«
|394| »Fahre fort.«
»Vor einer Woche kam Colla mit seinem Wagen zu mir. Ein Unglück sei geschehen, sagte er, ein Unfall. Mein Sohn Enda sei in den Teich bei seinem Haus gefallen und ertrunken. Mein armer kleiner Enda …« Dem Schmied versagte die Stimme.
»Lass dir Zeit«, wies Fidelma ihn sanft an. »Was weckte bei dir den Verdacht, dass es sich nicht um einen Unfall handelte, wie Colla behauptete.«
»Eine Zeitlang konnte ich keinen klaren Gedanken fassen. Ich war wie gelähmt, und meiner Frau ging es ebenso. Sie ist auch jetzt noch zu Hause, von Trauer niedergebeugt, denn der kleine Enda war unser einziges Kind. Colla brachte seinen Leichnam in seinem Wagen zu uns, ich hob ihn herunter und trug ihn in meinen
bothán
. Wir saßen lange bei unserem toten Jungen. Colla war bereits wieder aufgebrochen. Dann kam mein Vetter Tassach und sagte …«
»Einen Augenblick. Wer ist Tassach? Ist er hier im Saal anwesend?«
Ein stämmiger junger Mann erhob sich.
»Ich bin Tassach, gelehrte Brehon. Ich bin Arzt und ein Vetter Féchos.«
»Ich verstehe. In diesem Fall wollen wir Féchos Aussage unterbrechen und von dir selbst hören, was du zu jenem Zeitpunkt gesagt hast.«
Der junge Mann deutete in Féchos Richtung.
»Ich kam zu einem Besuch bei meinem Vetter und fand ihn und seine Frau bei der Leiche des kleinen Enda, ihres einzigen Sohnes. Endas kleiner Körper war auf dem Tisch aufgebahrt. Fécho und seine Frau litten sehr. Fécho sagte mir, das Kind sei bei Colla in einem Teich ertrunken. Das konnte ich kaum glauben.«
»Weshalb?«
|395| »Weil Enda schwamm wie ein Fisch. Er war ein so guter kleiner Schwimmer. Ich habe ihn gegen die Stromschnellen des Siúr ankämpfen sehen wie ein flussaufwärts schwimmender Lachs.«
»Selbst die besten Schwimmer können zuweilen Pech haben und ertrinken«, gab Fidelma zu bedenken.
»Das ist sicher wahr«, erwiderte Tassach. »Um allerdings in dem Teich bei Collas Haus zu ertrinken, muss schon Außergewöhnliches geschehen.«
»Kennst du den Teich?«
»Dieser Ort hier ist klein, gelehrte Brehon. Wir kennen uns alle gegenseitig, und wir kennen unsere Umgebung so gut wie das Innere unseres Hauses.«
»Du schöpftest also Verdacht und sagtest Fécho dies?«
»Nicht sofort. Ich sah mir erst einmal Endas Leiche genauer an.«
Fidelma hatte zunächst angenommen, dass die Klage von trauernden, vom Schmerz überwältigten Eltern erhoben wurde, die den Tod ihres einzigen Kindes
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