Todesfee
ermordet werden, und der Abt würde es tun.«
Fidelma befand sich in der für sie recht ungewöhnlichen Lage, dass es ihr an Worten fehlte. Dann schüttelte sie verwirrt den Kopf und bemühte sich, den Sarkasmus in ihrer Stimme zu zügeln.
»Das sind die Beweise? Er hat vorhergesagt, dass der Abt ihn ermorden würde?«
Brehon Gormán lächelte erneut, diesmal noch kühler.
»Bruder Eolang hat auch genau vorhergesagt, wie er sterben würde«, fügte er hinzu.
»Ich denke, das musst du mir ein wenig genauer erklären, Brehon Gormán!«, erwiderte Fidelma. »War Bruder Eolang ein Prophet?«
»Es scheint so, denn wir haben die Anklage und die Vorhersage in Bruder Eolangs eigener Handschrift vorliegen.«
Schwester Fidelma lehnte sich zurück und faltete die Hände im Schoß.
|76| »Ich lausche deinen Erklärungen mit großer Aufmerksamkeit«, meinte sie ruhig. »Bitte erläutere mir alles, damit ich keine falschen Schlüsse ziehe.«
»Das Verhältnis zwischen Abt Rígán und Bruder Eolang war nicht gerade gut«, antwortete der Brehon. »Es gibt Zeugen, die von einigen erhitzten Streitgesprächen zwischen den beiden berichten. Die hatten sich daraus ergeben, dass der Abt mit manchen Überzeugungen und Aktivitäten von Bruder Eolang nicht einverstanden war …«
Fidelma tappte noch immer im Dunkeln.
»Aktivitäten? Was für Aktivitäten?«
»Bruder Eolang war der Gehilfe des Bruders Apotheker im Kloster und verstand sich wunderbar darauf, aus den Mustern der Sterne Vorhersagen zu treffen.«
»Medizin und Astrologie sind zwei verwandte Seiten in der Heilkunst«, meinte Fidelma. »Beide werden in allen fünf Königreichen von Éireann nach wie vor betrieben. Warum hat der Abt die Astrologie so sehr verdammt?«
Fidelma selbst hatte das Anfertigen von Sternkarten und ihre Deutung bei Bruder Conchobar von Cashel studiert, der ihr einmal gesagt hatte, sie hätte eine hervorragende Sterndeuterin werden können. Fidelma verließ sich jedoch nicht gern auf die Astrologen, denn deren Wissenschaft schien ihr allein auf der Fähigkeit des Einzelnen zur Deutung der Omen zu beruhen. Sie akzeptierte allerdings, dass es von den Weisesten unter den Sternkundigen viel zu lernen gab. Die Kunst der Beobachtung des Himmels wurde von den Völkern von Éireann seit uralter Zeit ausgeübt, und die meisten Eltern, die es sich leisten konnten, ließen sich bei der Geburt eines Kindes ein Horoskop, ein
nemindithib
, erstellen.
Noch ältere Formen der Astrologie, wie sie von den Druiden vor dem Einzug des Christentums betrieben wurden, waren |77| nicht mehr in Gebrauch, seit mit dem Neuen Glauben andere Formen ins Land gekommen waren, die in der Antike die Griechen und Römer praktiziert hatten und die babylonischen Ursprungs waren.
»Der Abt schätzt die Astrologie nicht, Schwester«, unterbrach der Verwalter der Ordensgemeinschaft, Bruder Cass, sie, der bisher still neben ihnen gestanden hatte. »Der Abt mochte Bruder Eolang nicht, weil er sich mit Astrologie beschäftigte. Der Abt hat einen Abschnitt in einer der Heiligen Schriften gelesen, in dem die Astrologie verdammt wird, und diese Lehrmeinung übernahm er. Er versuchte, in unserer Gemeinschaft das Sterndeuten zu verbieten.«
Fidelma lächelte leise.
»Etwas zu verbieten, ist der sicherste Weg, es zu fördern. Ich dachte, wir wären in derlei Angelegenheiten toleranter? Die Kunst des
réaltóir
, des Astrologen, hat ihren Ursprung in jenen fernen Zeiten, in denen unsere Vorfahren zum ersten Mal die Augen zum Himmel erhoben. Sie gehört zu unserem Leben. Selbst diejenigen, die den Neuen Glauben übernommen haben, konnten nicht leugnen, dass Gott die Sterne in den Himmel gesetzt hat, damit die Narren ihnen folgen und die Weisen sich von ihnen leiten lassen.«
Nach kurzem Schweigen sprach Bruder Cass weiter: »Und deshalb waren sich Eolang und der Abt in dieser Angelegenheit feind.«
»Vor über einer Woche«, hob der Brehon an, »machte sich Bruder Eolang laut der Aussage einiger Mitglieder der Gemeinschaft, die das auch zu bezeugen bereit sind, derartig große Sorgen wegen dieser Feinseligkeit, dass er ein Horoskop für sich erstellte, um zu sehen, ob ihm vom Abt Gefahr drohte. Denn der Abt hatte Eolangs Überzeugungen bezüglich der Astronomie mit recht gewalttätigen Worten angeprangert.«
|78| Fidelma verkniff sich jeglichen Kommentar und wartete schweigend darauf, dass der Brehon fortfuhr.
»Einigen Freunden, die er unter den Ordensbrüdern hatte, erzählte Eolang, er
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