Todesfee
und Kräuterkundiger. Eines Tages hat er eine falsche Rezeptur zubereitet, und einer seiner Patienten ist gestorben. Er musste sich vor den Brehons wegen fahrlässiger Tötung verantworten und erhielt eine Geldstrafe. Die Brehons bezeichneten es als Unfall ohne jeglichen Vorsatz und befanden ihn nur des Irrtums schuldig. Doch Tanaí war ein gewissenhafter Mann, und obwohl er weiterhin hätte Kräuter verkaufen können, zog er sich in dieses Kloster zurück und tat Buße, indem er die Pflanzen und Kräuter studierte und ein Leben in Armut und Selbstaufopferung führte.«
Fidelma sah Liag zynisch an.
»Bis der Reliquienschrein sein Begehren weckte, denn nach allem, was du mir erzählst, war er intelligent genug, seinen wahren Wert zu erkennen. Vielleicht glaubte er, jemanden zu finden, der seine unsterbliche Seele für den Besitz dieses Kästchens aufs Spiel setzen würde?«
Bruder Liag stieß einen tiefen Seufzer aus.
»Das haben alle hier in den vergangenen zwanzig Jahren gedacht.«
»Das hört sich an, als wärst du bis heute nicht dieser Meinung?«, warf sie rasch ein.
|162| Bruder Liag zögerte und seufzte dann nachdenklich.
»Ich wollte damit sagen, dass er intelligent genug war, zu wissen, dass er den Reliquienschrein niemals würde verkaufen können, falls das sein Motiv war. Es gibt ein paar Fragen, auf die ich keine befriedigende Antwort erhalten habe. Tanaí hatte sich mit seiner Frau und seiner kleinen Tochter ins Kloster zurückgezogen, weil er das Gefühl hatte, er müsse für seinen Fehler Buße tun. Für mich handelt so ein Mann mit moralischen Prinzipien. Er hatte fünf Jahre lang eine Vertrauensstellung in den Klostergärten inne. Niemals hörte man, dass ihm irgendjemand misstraut hätte. Er hätte Klosterapotheker werden können; der alte Abt, der schon seit vielen Jahren tot ist, hatte ihn etliche Male gedrängt, die Stelle anzunehmen; er meinte, er habe für seinen Fehler mehr als genug gezahlt.
Warum dann diese plötzliche geistige Verirrung? Mehr als fünf Jahre lang hätte er das Reliquienkästchen oder auch jeden der anderen Schätze des Klosters stehlen können. Warum hat er ausgerechnet zu diesem Zeitpunkt versucht, es zu stehlen? Und Una dabei getötet! Er war niemals gewalttätig, trotz des Fehlers, der zur Anklage wegen fahrlässiger Tötung geführt hatte. Der Mord an Schwester Una war völlig untypisch für ihn.«
»Wieso wurde er überhaupt mit dem versuchten Diebstahl in Verbindung gebracht?«, fragte Fidelma. »Der Abt hat gesagt, er floh ohne den Reliquienschrein.«
Bruder Liag neigte den Kopf.
»Der Reliquienschrein war unangetastet. Schwester Una hatte den Dieb gestört, bevor er ihn auch nur berühren konnte, und als sie Alarm schlagen wollte, wurde sie umgebracht.«
»Wo wurde Tanaí gefasst?«
»Als er versuchte, die Räume des Abts zu betreten.« Bruder Liag warf ihr einen scharfen Blick zu. »Am Eingang hat ihn die |163| Gemeinde eingeholt und zum nächsten Baum gezerrt. Gott vergebe uns allen. Aber die ganze Gemeinde hat Schwester Una so sehr geliebt, dass der gesunde Menschenverstand von der Wut übermannt wurde.«
»Er wollte in die Räume des Abts? Seltsam, dass ein Mann, der offenbar gerade einen Mord begangen hat, dorthin laufen sollte«, murmelte Fidelma.
»Diese Frage wurde erst nachher aufgeworfen. Abt Ogán, damals ein junger Bruder, führte an, dass Tanaí gewusst haben musste, dass er gefasst werden würde, und sich deshalb dem alten Abt ausliefern und bei ihm Zuflucht suchen wollte.«
»Das ist plausibel«, räumte Fidelma ein. »Was ist aus Tanaís Familie geworden?«
»Seine Frau ist bald darauf an dem Schock gestorben, und seine kleine Tochter wurde aus Barmherzigkeit von den Klosterschwestern aufgezogen.«
Fidelma war verwirrt.
»Etwas verstehe ich nicht. Wenn Tanaí an der Schwelle zu den Räumen des Abts abgefangen wurde, wenn die einzige Zeugin tot war, der Reliquienschrein nicht angetastet wurde und es keinen Augenzeugen gab, weshalb wurde Tanaí mit dem Verbrechen in Verbindung gebracht? Ja, woher weiß man überhaupt, dass das Motiv für den Mord Diebstahl war?«
Bruder Liag zuckte die Achseln.
»Was sonst hätte das Motiv für den Mord an der armen Schwester Una gewesen sein können? Jedenfalls riefen alle, dass Tanaí der Täter sei und dass man ihn aus der Kapelle hatte rennen sehen. Ich nahm an, dass dies zweifelsfrei feststand, da alle es schrien.«
»Wie viel Zeit lag zwischen dem Zeitpunkt des Verbrechens und dem Zeitpunkt,
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