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Todesfee

Todesfee

Titel: Todesfee Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: P Tremayne
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als man Tanaí fand?«
    Bruder Liag verlagerte sein Gewicht von einem Bein auf das |164| andere und dachte über die Frage nach, versuchte, sich in Gedanken zwei Jahrzehnte zurückzuversetzen.
    »Ich kann mich nicht genau erinnern. Ich weiß, dass es eine Zeitlang dauerte.«
    »Eine Stunde?«
    »Nein, wesentlich weniger.«
    »Ein paar Minuten?«
    »Mehr. Vielleicht fünfzehn Minuten.«
    »Und wer hat Tanaí als den Übeltäter entlarvt?«
    Bruder Liag machte eine hilflose Geste.
    »Alle riefen, dass … Ich sah Bruder Ogán, den jetzigen Abt. Ja, Ogán führte die schreiende Menge an; aber auch Bruder Librén, der
rechtaire
… der Verwalter des Klosters. Alle schrien und suchten nach Tanaí … Ich habe keine Ahnung, wer ihn als Erster als Täter bezeichnet hat.«
    »Ich verstehe«, antwortete Fidelma seufzend. »Wieso hast du jetzt Zweifel an Tanaís Schuld?«
    Bruder Liag wirkte etwas betreten.
    »Ich weiß, dass diese Gemeinde seinen Tod auf dem Gewissen hat, weil er zu Unrecht durch den Zorn des Mobs getötet wurde und kein Gerichtsverfahren erhielt. Das reicht, um die Last der Schuld auf unsere Schultern zu legen. Wenn ein Mann keine angemessene Möglichkeit hatte, sich zu verteidigen, bleibt immer ein Zweifel bestehen.«
    Fidelma dachte einen Augenblick nach.
    »Nun, so wie du die Vorgänge schilderst, hast du recht, an Tanaís Schuld zu zweifeln. Wäre ich damals seine Richterin gewesen, hätte ich ihn mangels Beweisen freigesprochen. Es sei denn, es hätte andere Zeugenaussagen gegeben. Aber nach zwanzig Jahren kann man nicht mehr viel tun.«
    Bruder Liag stieß einen betrübten Seufzer aus.
    »Ich weiß. Doch der Gedanke ist erschreckend, dass, wenn |165| Tanaí unschuldig war, der wahre Mörder von Schwester Una die ganze Zeit mit seinem dunklen Geheimnis innerhalb dieser Mauern lebt.«
    »Wir alle leben neben Menschen mit dunklen Geheimnissen«, erklärte Fidelma. »Bringst du mich jetzt zu meinem Zimmer?«
    Nach dem abendlichen Angelusläuten und einem einfachen Mahl im Refektorium des Klosters machte sich Fidelma fast automatisch wieder auf den Weg zur Kapelle, um sich die Marmorstatue von Schwester Una noch einmal genauer anzusehen. Sie verabscheute ungelöste Rätsel; sie ließen ihr keine Ruhe, bis sie das Problem durchschaut hatte. Das so lebendige marmorne Gesicht von Schwester Una schien um eine Aufklärung des Mordes zu flehen, der vor so vielen Jahren begangen worden war.
    Fidelma stand vor der kleinen Statue, und wieder wurde sie in ihrer Betrachtung von einer Stimme gestört.
    »Er hat es nicht getan, weißt du.«
    Es war eine sanfte weibliche Stimme. Fidelma blickte sich rasch um. Unweit von ihr stand eine Nonne. Soviel Fidelma feststellen konnte, war sie etwa Mitte dreißig. Das Gesicht hätte anziehend sein können, doch selbst im mildernden Licht der Kerzen wirkte es verbittert und verhärmt.
    »Von wem sprichst du?«, fragte Fidelma.
    »Von Tanaí, meinem Vater. Mein Name ist Muiríol.«
    Fidelma wandte sich zu ihr um und sah die Frau prüfend an.
    »Also bist du die Tochter des Gärtners, der wegen des Mordes an Schwester Una gehängt wurde.« Es war eher eine Feststellung als eine Frage.
    »Zu Unrecht, denn, wie ich schon sagte, er hat es nicht getan.«
    »Wie kannst du so sicher sein?«
    |166| »Weil ich damals hier war und weil er mein Vater war.«
    »Töchter sind nicht die besten Zeugen für die Taten ihrer Väter. Ich würde mehr brauchen als nur deine Meinung. Du warst doch damals gewiss recht jung?«
    »Ich war zwölf Jahre alt. Glaubst du, dieser Tag hätte sich nicht in mein Gedächtnis eingebrannt? Ich war mit meinem Vater in den Klostergärten, denn dort habe ich oft gespielt. Ich erinnere mich, dass Schwester Una auf dem Weg zur Kapelle an uns vorbeikam. Sie grüßte uns und stellte meinem Vater eine Frage über seine Arbeit. Dann ging sie weiter in die Kapelle.«
    Muiríol hielt inne und schluckte. Der Blick ihrer dunklen Augen wich nicht von Fidelmas Gesicht. Sie wirkten gequält, als sähen sie das alles wieder vor sich – ein lebendiges Bild, das sie zu peinigen schien.
    »Sprich weiter«, sagte Fidelma leise.
    »Ein paar Minuten, nachdem sie die Kapelle betreten hatte, ertönte ein Schrei. Mein Vater befahl mir, mich nicht von der Stelle zu rühren, lief zur Kapelle und verschwand darin. Auch andere aus der Gemeinde hatten den Schrei gehört, und einige kamen in den Garten und fragten, was er zu bedeuten habe. Aus der Kapelle ertönte Lärm und eine laute

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