Todesflirt
nicht am Sprechen hinderte.
»Max ist von Anfang an super mit Juli zurechtgekommen, das muss man ihm lassen.« Darin stimmte ich ihr zu.
»Und David wird es auch noch lernen.«
»David«, sagte sie nachdenklich. »Ist der eigentlich Jude? Das ist doch so ein jüdischer Name.« Ich zog kurz die Schultern hoch.
»Keine Ahnung. Hab ihn nicht gefragt.«
»Aber auf deine Weltverbesserungs-Demos geht er schon mit, oder?«
»Weiß ich nicht«, antwortete ich, langsam leicht genervt.
»Mann, ihr knutscht nur rum, was?«
Annika warf ihr abgebissenes Apfelgehäuse mit einem eleganten Wurf auf den Kompost hinter der angrenzenden Hecke und wischte sich die Finger an ihrem grünen Kittel ab.
»Bis später, große Schwester. Träum schön weiter von deinem neuen Lover.«
»Du bist doch nur neidisch!«, rief ich ihr nach. Annika, 16 Jahre alt, immer verliebt, immer absolut ehrlich. Seltsame Mischung.
Meine Eltern wurschtelten auch nach Ladenschluss auf der Freifläche herum, während Annika mit Juli laufen gegangen war. Also konnte ich mich heimlich, still und leise davonschleichen.
Glücklicherweise lag die Bushaltestelle gleich gegenüber der Gärtnerei und ich konnte, ohne viel humpeln zu müssen, in die Messestadt fahren. Dort stieg ich in den Bus nach Daglfing um, der ebenfalls ganz in der Nähe der Kunihohstraße anhielt.
Mein Herz pochte laut. Gleich würde ich ihn wiedersehen. In seine abgründigen Augen schauen. Eine andere Welt darin entdecken.
Das Haus war ein dreistöckiger, nüchterner Bau, der sich nicht entscheiden konnte, ob er hellrosa oder hellgelb hatte werden sollen. Innerhalb der akkurat geschnittenen Hecken ringsum stand eine riesige Scheinzypresse, die das Haus überragte und den Wohnungen dahinter jedes Licht nahm. Na ja, deutsche Vorgärten … Langsam humpelte ich zum Eingang und suchte die Klingelschilder nach seinem Namen ab. Da - Liebig. Ich drückte drauf. Wartete. Nichts geschah. Vielleicht war er gerade aufs Klo gegangen. Das ist doch immer so! Ich klingelte nochmals. Wartete wieder. Nichts tat sich. Mein Herzschlag beschleunigte sich noch mehr. Bestimmt war er noch was einkaufen und würde gleich kommen. Sicherheitshalber drückte ich noch mal auf den Knopf. Nichts. Ich sah an den Fenstern hoch, konnte aber nichts erkennen. Aber dann fiel mir ein, dass er von Einliegerwohnung gesprochen hatte. Vielleicht war woanders noch ein Zugang? Mühsam ging ich um das Haus herum. Auf der Rückseite, wo sich ein kleiner, spartanischer Gemeinschaftsgarten mit einer Wäschespinne befand, führte ein schräg nach unten abfallendes Beet voller korsischer Nieswurz mit stacheligen Blättern Richtung Kellergeschoss. Und am hinteren Ende ging eine kurze Treppe zu einer weiteren Tür hinunter. Es dauerte, bis ich davorstand, aber dann war ich sicher, hinter dieser Tür musste David wohnen. Da es keine weitere Klingel gab, klopfte ich dagegen. Auch hier tat sich nichts. Links der Tür erstreckte sich ein breites, aber nicht allzu hohes Fenster – und es war gekippt. Zögernd sah ich mich um. Niemand zu sehen. Auch über mir nicht. Sollte ich? Scheiße. Ich konnte doch nicht bei ihm einbrechen! Das ging gar nicht. Aber … andererseits … Ich beschloss, noch fünf Minuten zu warten. Ich hockte mich auf die noch sonnenwarmen Stufen und sah an dem Haus hinauf. Ich geh rein, nein, ich lass es. Nein, ich geh rein, nein … Hilfe! Ich wurde völlig konfus. Mal ganz ruhig! Ich wollte nichts Böses. Nichts klauen, nichts kaputt machen. Ich wollte nur sehen, wie er lebte. Nichts weiter. Und wenn er plötzlich auftauchte? Dann könnte ich behaupten, die Tür sei nicht abgeschlossen gewesen. Nachdem immer noch alles ruhig und still war, näherte ich mich dem Fenster, das sich etwa in Hüfthöhe befand. Gott, wie mein Herz klopfte. Langsam streckte ich meine Hand aus, griff durch den Schlitz, fingerte an einer weißen, häßlichen Häkelgardine herum und bekam schließlich den Fenstergriff zu fassen. Ich musste mich nur ein wenig recken, sogar mein Bein verzieh es mir. Ich drehte den Griff nach unten, hatte einen kurzen Moment Panik, dass das Fenster einfach herausbrechen und ins Zimmer kippen würde. Aber nichts weiter geschah – außer, dass das Fenster nach innen aufglitt. Leise, unspektakulär. Ich hatte keinerlei Mühe, das Fensterbrett zu überwinden.
Unter dem Fenster stand ein Schreibtisch. Glücklicherweise ziemlich karg und ordentlich, sodass ich problemlos daraufsteigen konnte. Schnell schloss ich das
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