Todesflirt
hätte, ich gebe es zu. Die Wände waren in vier verschiedenen Rot-Lila-Tönen gestrichen und es hingen zwei Greenpeace-Plakate daran: eines mit einer riesigen Meeresschildkröte unter Wasser, ein anderes mit Aufnahmen von Regenwäldern. Über dem eigentlich recht schlichten schwarzen Bett hatte ich an einem Eisengestänge üppigen Stoff drapiert, lilablau mit golden eingewebten Streifen, ein paar Filzrosen klammerten sich daran. In der Mitte des Zimmers pendelte vom Nachtwind sanft bewegt eine Lampe mit einem pinkfarbenen Seidenbezug, in den ganz kleine Spiegelchen eingestickt waren. Nur der Ikea-Flickenteppich in orange-grün darunter passte nicht ganz und auch der einfache Holzschreibtisch fiel ein bisschen aus dem Konzept. Trotzdem liebte ich meinen kleinen orientalischen Palast.
Ich versuchte, mich auf mein Buch zu konzentrieren, ein eigentlich sehr spannendes Buch über die Gehirnentwicklung von Kindergartenkindern. Nichts blieb hängen. Ich humpelte noch mal die zwei Stockwerke in die Küche runter und holte mir ein großes Glas kaltes Wasser. Als ich zurück in mein Zimmer kam, trat ich auf etwas Piksendes. »Autsch«, entfuhr es mir und ich sah nach, was es war. Ein spitzer Kieselstein lag auf dem Boden. Daneben ein zweiter, ein dritter. Ich stürzte – so gut das ging – ans offene Fenster. Ein weiteres Steinchen flog knapp an meinem Kopf vorbei.
Und dann erkannte ich ihn im Schatten des Kirschbaums. Stand einfach da, leibhaftig und lebendig und so etwas wie ein Schmunzeln hing in seinem Gesicht. Er deutete mit dem Zeigefinger nach oben – durfte er hochkommen? Ich brauchte nicht eine Sekunde darüber nachdenken. Ich war so gottfroh, ihn lebendig und, wie es schien, unversehrt zu sehen. Ich nickte also und er kam näher ans Haus heran. Die Leiter, die am Kirschbaum gelehnt hatte, brachte er gleich mit. Gefensterlt hatte bei mir auch noch keiner. Er schaffte es problemlos, kletterte über die Leiter auf den Balkon, zog die Leiter nach und konnte bequem zu meinem Dachfenster weiter hinaufsteigen. Im Schlafzimmer meiner Eltern, das hinter dem Balkon lag, blieb es ruhig.
Und jetzt stand er da mitten in meinem Zimmer und pflückte ein Kirschblatt aus seinen Haaren. Er sah mich aus seinen melancholischen Augen traurig an, unsicher, und wie immer war ich es, die das Sprechen übernahm.
»Wo warst du?«, fragte ich und versuchte nicht, die Spur von Ärger aus meiner Stimme zu verbannen. »Ich hab die Krankenhäuser nach dir abtelefoniert! Beinah hätte ich bei der Polizei angerufen. Scheiße, echt, mach das nie wieder mit mir!«
Er sah betreten zu Boden. »Ich habe lange überlegt, ob ich hier einfach so auftauchen soll«, sagte er dann leise. »Aber ich habe dich jede Sekunde, die ich fort war, vermisst.«
Verdammt! Die Wehrmauer um mein Herz war kurz vor dem Einsturz. »Wo warst du?«, fragte ich trotzig noch einmal. Und erst jetzt wurde mir klar, dass ich ihn schlecht mit meinen Entdeckungen konfrontieren konnte. Ich konnte ja nicht sagen: Ach, du, übrigens, ich bin kurz bei dir eingebrochen und habe deinen Laptop, ein Handy-Ladekabel und die Postkarte einer Luisa gefunden, die dir Küsse schickt – und wer war das noch mal, der dich umbringen wollte? Mir blieb nur, ihn zum Reden zu bringen.
»Können wir uns nicht setzen?«, fragte er. Ich humpelte zum Bett und er sah mich bestürzt an. »Was ist passiert?« Ich konnte auch Geheimnisse haben, beschloss ich und erzählte nur, dass ich vom Fahrrad gefallen sei. Kein Wort von der dunklen Gestalt. Das würde ihn nur von seinem Geständnis abhalten.
Als wir saßen, streckte er seine Hand nach meiner aus. Ich zog sie weg.
»Sag es mir«, forderte ich ihn auf. Er blickte nach unten, befühlte mein Bettzeug, als wolle er eine der Stoffblumen darauf abpflücken, seufzte tief.
»Ich kann es dir nicht sagen«, brachte er mühsam hervor. »Das … Mann, das klingt total doof, aber … es wäre zu gefährlich.«
»Bist du Superagent in deinem zweiten Leben?«, höhnte ich. Es klang wirklich zu doof.
»Nein, aber …«, er verstummte schon wieder, suchte meinen Blick, meine Hand. Diesmal ließ ich sie ihm.
»Bitte, David. Du kannst doch nicht erwarten, dass ich mit jemandem zusammen sein will, über den ich nichts weiß.«
Er schüttelte den Kopf. Fuhr über jeden einzelnen meiner Finger. So sanft. Ich seufzte.
»Es tut mir so leid«, sagte er leise.
»Was? Was tut dir leid?«
»Verdammt, dass ich dir nichts sagen kann. Ich hab …« Er atmete tief ein.
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