Todesflirt
Dem Verein geht es finanziell schlecht. Um nicht zu sagen, beschissen.«
»Toll«, rief Regine. »Und bei uns fangen sie als Allererstes zu sparen an, das ist ja typisch!«
»Genau«, unterstützte Jessica.
»Wer das nicht akzeptieren will, der kann kündigen. Und wir werden es so hinbekommen, dass ihr keine Sperre vom Arbeitsamt bekommt. Ich meine, Stellen als Erzieherinnen liegen zurzeit auf der Straße.«
»Super«, sagte Annegret. »Bloß besser bezahlt sind die auch nicht. Da können wir auch hier verhungern.«
Die Schneider spielte mit einem Kugelschreiber in ihrer Hand herum. Ein quietschgrünes Springseil, das Logo des Vereins, war darauf abgebildet – fröhlich sollte das aussehen. Jetzt sah es mehr wie ein Strick aus. Ein Fallstrick.
»Wie gesagt, überlegt es euch. Tabea, für dich ändert sich natürlich nichts.« Wie tröstlich! Ich war ja in acht Wochen sowieso weg. Aber jetzt wurde mir auch klar, warum die Schneider in den letzten Wochen so angespannt, so schnell genervt gewesen war. Marion wollte schon die Wassergläser, die auf dem Tisch standen, zusammenräumen, da hielt die Schneider sie zurück.
»Da wäre noch etwas«, sagte sie langsam. Irgendwie klang es bedrohlich. Marion hielt mitten in der Bewegung inne und setzte sich wieder auf ihren Stuhl.
»Eine ziemlich heikle Angelegenheit«, machte die Schneider weiter und räusperte sich unsicher. »Ich möchte, dass dies hier erst einmal absolut diskret behandelt wird, so lange, bis die Sache geklärt ist.« Wir sahen sie erwartungsvoll an. Sie griff nach einer Plastikhülle, die neben ihr auf dem Tisch lag, und zog ein weißes Blatt hervor.
»Dies hier hat mir eine Mutter vorbeigebracht. Schaut es euch an und sagt mir, was ihr denkt.« Sie drehte das Blatt um und schob es zu Annegret, die direkt neben ihr saß. Annegret betrachtete es mit zusammengekniffenen Augen, sagte »Scheiße« und schob den Zettel an Marion weiter. »Oh Gott«, entfuhr es ihr und dann war Sabine dran. Nach ihr Jessica, dann Regine. Und schließlich ich. Ich brauchte einen Augenblick, um zu begreifen, was ich da sah. Es war ein Brief, auf dem oben ein kurzer Text ausgedruckt war: »Möchten Sie Ihr Kind wirklich weiter in diesen Kindergarten schicken?«, stand da. Unterschrift: »Ein Freund.« Und darunter waren zwei Fotos. Das linke zeigte Berivan, wie sie die Blumen an der Hauswand goss. Sie wurde hochgehoben, von David. Das rechte Bild war eine Ausschnittvergrößerung. Man sah deutlich, wie David Berivan mit einer Hand am Po abstützte. Und zwei seiner Finger verschwanden in ihrer Badehose. Ein lautes Stöhnen entwich mir. Ich schlug die Hände vor den Mund. Das konnte nicht sein! Noch einmal sah ich auf das Bild. Kein Zweifel. David hatte Zeige- und Mittelfinger seiner rechten Hand in Berivans Badehose geschoben, zum Schritt hin. Ich bemerkte kaum, dass die Schneider das Foto zurück in die Hülle schob.
»Also?«, fragte sie, aber es traute sich niemand, etwas zu sagen. Bilder wirbelten durch meinen Kopf, Bilder von David mit den Kindern. Mit den kleinen Mädchen. Die auf seinem Schoß saßen, auf seinen Schultern, die Beine rechts und links gespreizt an seinem Kopf vorbeistreckten. Mädchen, die er knuddelte und kitzelte. »Es ist etwas sehr Schlimmes passiert«, hallten mir seine Worte durch den Kopf. Deshalb war er in Bedrängnis? »Mein Leben entsprach nicht ihren Vorstellungen« - kein Wunder vielleicht, dass seine Eltern nichts mehr mit ihm zu tun haben wollten. Tränen fielen auf die Tischplatte vor mir.
»Du magst ihn sehr, oder?«, sagte Annegret leise.
»Aber was machen wir denn jetzt?«, fragte Sabine.
»Ist doch klar, der darf hier nicht mehr rein. Wir zeigen ihn an«, forderte Jessica. Die Schneider wackelte mit dem Zeigefinger.
»Moment! So weit sind wir noch nicht. Wir müssen ihm erst mal die Chance geben, sich zu rechtfertigen.«
»Das ist ein Pädophiler«, stieß Regine aus. »Wir arbeiten hier mit Kindern, schon vergessen? Das Foto spricht Bände!«
»Aber … aber …« Ich war sprachlos. Wie schnell verurteilte sie einen Menschen, ohne die Hintergründe zu kennen. »Aber du weißt doch gar nicht, was in dem Moment passiert ist. Vielleicht war das ein Versehen, vermutlich hat er das gar nicht gemerkt!«
»Dass du den in Schutz nimmst, Tabea, war ja klar.« Regine lachte gehässig. »Weiß doch jeder, dass du verknallt in den bist. Na, da haste dir ja ein Früchtchen ausgesucht.«
Die Schneider klopfte mit der flachen Hand auf den
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