Todesfracht
Blick auf seine Schusswunde gestattete, würde ihre Geheimaktion sofort auffliegen. Linda blickte nach unten. Aufgrund der zweidimensionalen Darstellungsweise der Restlicht-Optiken empfand sie nicht das erwartete Schwindelgefühl. Direkt unter ihr befand sich ein Schiff, und zwar ein kleiner Tanker mit einem Decksaufbau am Heck. Sie blickte nach achtern und erkannte, dass sie den Schornstein und die Masten des Schiffes abgeschnitten hatten, damit es unter die Abdeckplane passte. Von ihrem Beobachtungspunkt aus sah sie nichts, was auf die Identität des Schiffes hätte schließen lassen können, keinen Namen oder irgendein charakteristisches Merkmal. Aber immerhin hatten sie jetzt den Beweis, dass sie es sowohl mit Seajackern wie auch mit Piraten zu tun hatten.
Sie schaltete die Optiken ihrer Brille von Restlicht auf Infrarot. Das Bild vor ihren Augen wurde schwarz – mit einer leuchtenden Ausnahme. Ein Lichtstreifen erschien an der Reling des Schiffes und verlief bis auf den Grund des Innenraums, wo sie einen sich vergrößernden hellfarbigen Fleck erkennen konnte.
Sie schaltete wieder zurück auf Restlicht und richtete ihre Taschenlampe auf den Punkt. Es schien, als wäre Nikoli bei seinem Sturz auf die Reling des Frachters geprallt, als er abstürzte.
Blut, das als Wärmequelle bei Infrarotsicht zu erkennen gewesen war, sah jetzt schwarz aus, und seine Leiche lag auf dem untersten Deck und war mit Blut besudelt. Sie bezweifelte, dass außer einem erfahrenen Pathologen noch jemand anders die Schusswunde zwischen all den Verletzungen bemerken würde, die der Absturz aus dieser Höhe verursacht hatte.
Zufrieden rief Linda den Männern zu, sie sollten sie wieder nach oben ziehen. »In dem Schwimmdock befindet sich ein Tanker. Sie haben den Schornstein abgeschnitten, damit er hineinpasst. Ich schätze die Länge auf etwa hundertdreißig Meter.«
»Kannst du irgendwie den Namen feststellen?«, fragte Max aus dem Kontrollzentrum.
»Nichts zu machen. Wir sollten verschwinden. Diese Wächter müssten jetzt von ihrem Rundgang zurückkehren.«
»Okay. Wir erwarten euch.«
Geduckt rannte das Team zu der Stelle, wo sie das Zodiac gesichert hatten, und kletterte am Seil hinab. Der Pilot startete den Elektromotor und war bereit, als der Schütze das Seil freigab.
Das Schlauchboot schlug auf den Wellen auf und entfernte sich sofort von der
Maus
, nachdem es sekundenlang gefährlich schwankte, ehe die Geschwindigkeit seine Lage stabilisierte.
Eine Viertelstunde später näherten sie sich der
Oregon
mit zwanzig Knoten, angetrieben von dem Benzinmotor, der leise vor sich hin schnurrte. Der Matrose in der Garage verfolgte ihre Anfahrt über die schiffseigene Fernsehanlage, löschte, während sie näher kamen, die roten Lichter und öffnete die Tür gerade rechtzeitig, um das Zodiac die Rampe hinaufschießen und auf den Punkt anhalten zu lassen. Die Garagentore schlossen sich, noch ehe der Pilot den Schlauchbootmotor ausschalten konnte.
Max Hanley wartete bereits, um sie in Empfang zu nehmen.
Er reichte Linda sein Mobiltelefon.
Sie streifte sich die Strickmütze vom Kopf. »Hier ist Ross.«
»Linda, Juan hier. Was habt ihr gefunden?«
»Das Dock transportiert einen mittelgroßen Tanker. Seinen Namen konnten wir nicht feststellen.«
»Irgendwelche Hinweise auf die Mannschaft?«
»Nichts dergleichen, Juan. Und da in dem Becken totale Dunkelheit herrschte, tippe ich darauf, dass die Besatzung entweder tot ist oder auf einem der Schlepper gefangen gehalten wird.« Keiner brauchte darauf hinzuweisen, dass die zweite Möglichkeit eher unwahrscheinlich war.
»Okay, ihr alle habt eure Sache gut gemacht«, sagte Cabrillo.
»Lasst euch eine Extraration Grog zubereiten.«
»Sehr schön, aber ich ziehe einen doppelten Cognac aus der Flasche Louis XIII. vor, die du in deiner Kabine aufbewahrst.«
»Den sollte man aber nur aus einem angewärmten Glas trinken und niemals runterkippen … wie einen billigen Tequila.«
»Ich werde mein Glas vorher anwärmen«, gab Linda scherzend zurück. »Hier ist Max.« Sie hielt ihm das Mobiltelefon hin und verließ die Garage, um ausgiebig zu duschen und, ja, um sich ein oder zwei Gläser von Juans fünfzehnhundert Dollar teurem Cognac zu genehmigen.
»Was sollen wir jetzt tun?«, fragte Hanley.
»Nach dem, was Murph mir mitgeteilt hat, ist die
Maus
nach Taiwan unterwegs. Warum eilt ihr dem Kasten nicht voraus und wartet ab, ob sie in einen Hafen einläuft? Wenn ja, dann treffen wir uns
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