Todesfuge: Gerda und Otto Königs zweiter Fall (German Edition)
selbst fühlte sich noch jung und rüstig, so dass ihr die Allgegenwart des Todes anscheinend nichts auszumachen schien. Der Tod war ein Besucher, der nur an die anderen Türen klopfte. Dass er jetzt allerdings schon im Nachbarzimmer seine Sense geschwungen hatte, das schien Gerlinde Haller doch zu beunruhigen.
Seine Mutter wartete immer noch auf eine Reaktion von ihm und weil Georg keine Lust hatte, das Thema mit nüchternem Magen am Telefon abzuhandeln, schlug er vor, sie zu besuchen. „Ich könnte auch ein paar Weckle mitbringen und wir frühstücken gemütlich zusammen. Was meinst du dazu?“ Seine Mutter klang spürbar erleichtert. „Ich würde dich auch einladen, dann könnten wir zum Michaelsbäck zum Frühstücken gehen, das gefällt dir bestimmt, da kann man nämlich so viel essen wie man will. Hol mich doch einfach mit dem Auto ab, ich warte am Eingang auf dich.“
Georg wurde es heiß. Das ging auf gar keinen Fall. Seine Mutter durfte den Wagen erst zu Gesicht bekommen, wenn er den Schaden behoben hätte. „Weißt du was, ich glaube wir bleiben lieber bei dir, ich will mir die Geschichte von deiner Nachbarin nicht im Café anhören. Ich bin in fünfzehn Minuten bei dir.“
Der grüne Oldtimer hatte wie jeden Morgen in seiner Parklücke direkt vor der Schubartstraße Nummer fünf gestanden. Mit keinem Wo rt klagte er seinen Besitzer an; über die nächtliche Misshandlung ging er stillschweigend hinweg. Georg besah sich den Schaden und es war ihm peinlich, dass er darauf bestanden hatte, selbst zu fahren. Die Beule am Kofferraum war größer als befürchtet und die ganze Beifahrerseite zierte eine breite Kratzspur, die sich tief in den metallic-grünen Lack eingefressen hatte. Zum Glück war er im Treppenhaus niemandem begegnet. Wie sollte er Herrn Ebert und seinen beiden Nachbarinnen jemals wieder in die Augen sehen können? Er hätte vor Scham im Boden versinken können. Den alten Opel musste er schnell reparieren lassen, mit so einem Unfallwagen konnte er sich als Polizist in Bärlingen nicht sehen lassen.
Den geschundenen Uralt-Opel parkte Georg nicht wie sonst auf dem Besucherparkplatz des Altersheims, sondern in einer Seitenstraße und ging die letzten Meter zu Fuß. Mit Sicherheit hätte gerade heute einer der Senioren eine Rollator-Runde über den Parkplatz gedreht und mit Georg ein Gespräch über Blechschäden begonnen.
Seine Mutter hatte bereits Kaffee gekocht und den Tisch in ihrer Sofa-Ecke gedeckt. Georg ließ sich in die bequemen Kissen des Sessels fallen und begann damit, sich ein Laugenbrötchen dick mit Salami zu belegen. Der Kaffee tat ihm gut und er wusste, dass dieses Frühstück der beste Start in den Tag war, den er heute haben konnte. Sein eigener Kühlschrank war am Ende der Woche leer und allein mit einem ausgewachsenen Kater am Küchentisch - das war selbst dem eingefleischten Junggesellen zu trostlos. Seine Mutter hatte sich zu ihm gesetzt und schaute dabei zu, wie er das Brötchen mit nur wenigen Bissen verschwinden ließ. Unter normalen Umständen hätte Gerlinde ihren Sohn an die Grundregeln der Tischmanieren erinnert, doch heute Morgen war sie mit ganz anderen Gedanken beschäftigt. Georg bemerkte, dass seine Mutter ihn beobachtete, ohne selbst zu frühstücken. Mit vollen Backen wollte er wissen, ob sie keinen Hunger habe.
„Weißt du , die Sache mit Frau Wellenstein ist mir auf den Magen geschlagen. Aber lass du’s dir nur schmecken, du hast wohl eine schlimme Nacht hinter dir, gell?“ Georg nickte nur vielsagend; je weniger seine Mutter wusste, umso besser.
Georg war klar, dass er um die Nachbarinnen-Geschichte nicht herum kam und deshalb wollte er sie lieber schnell hinter sich bringen. „Was ist denn jetzt mit deiner Nachbarin?“ Gerlinde Haller setzte sich ganz aufrecht auf die Sofakante und mit verschwörerischer Miene ließ sie ihren Sohn wissen, dass sie bei der alten Dame aus dem Nachbarzimmer nicht an einen natürlichen Tod glaube. Georg nickte nur und verkniff sich einen sarkastischen Kommentar. Seine Mutter hatte schon immer ein Faible für Kriminalfälle und war begeisterte Krimileserin. Am liebsten wäre sie von ihrem Sohn in seine aktuelle Ermittlungsarbeit eingeweiht worden und würde ihm zu gern tatkräftig bei der Aufklärung seiner Fälle helfen.
Jetzt sah sie das organisierte Verbrechen also auch schon in ihrer unmittelbaren Nachbarschaft am Werk. Gerlinde wusste, dass ihr Sohn nicht über seine Polizeiarbeit sprechen wollte und sie war es
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