Todesfuge: Gerda und Otto Königs zweiter Fall (German Edition)
spulte routiniert ein oberflächliches Small-Talk-Programm ab, das sie in jahrelangem Einsatz an der Seite ihres Mannes zur Meisterschaft verfeinert hatte. Michael war froh, dass von ihm kein Gesprächsbeitrag erwartet wurde. Er nickte nur und streute hin und wieder ein „Ach ja“ ein. Das reichte. Esther hatte ihn zur SB-Theke geführt und die gemeinsame Rechnung übernommen.
Als Michael seinen verschlissenen Geldbeutel an einer langen Kette aus der Gesäßtasche zog und Anstalten machte zu bezahlen, überkam Esther eine Woge des Hasses auf ihren Mann. Was hatte er ihr nur für eine Rolle zugeteilt in seinem egoistischen Spiel? Sie schämte sich dafür, dass sie jetzt hier mit diesem Mann stehen musste, auch wenn sie niemand sah außer den älteren Damen, die sich von ihrer kleinen Rente ganz offensichtlich keinen Besuch in einem exquisiten Café leisten konnten. Was hatte ihr Mann nur aus ihr gemacht? Und warum hatte sie sich so bereitwillig als Sklavin seiner Lust hergegeben? Esther Wellenstein wäre am liebsten sofort wieder gegangen, aber sie musste dieses letzte Kapitel noch abschließen.
Als sie an der Kasse stand , vermied sie es, der Kassiererin in die Augen zu sehen. Was dachte diese Frau wohl über sie und ihren Begleiter? Im besten Fall dürfte sie das ungleiche Paar wohl für Mutter und Sohn gehalten haben; den Liebhaber einer Frau wie Esther Wellenstein würde sicher niemand in dem unscheinbaren jungen Mann vermuten.
Esther war ebenso froh wie Michael, als sie mit ihren Tabletts in einer Nische hinter einem Holzparavent verschwunden waren. Hier waren sie ungestört, zumindest waren sie den unmittelbaren Blicken der Kaufhausbesucher entzogen. Michael hatte bemerkt, dass Esther einsilbiger geworden war. Sie hatte ihre Sonnenbrille abgenommen und saß schweigend vor ihm. Sie rührte in ihrem Kaffee. Sie schien auch nervös zu sein. Ihre Unsicherheit machte Michael mutig. Auch wenn er mittlerweile nicht mehr daran glaubte, dass sie ihn zum tête-à-tête hierher bestellt hatte, so hatte er seine Hoffnung immer noch nicht aufgegeben, dass dieses Treffen einen Neuanfang in ihrer Beziehung markieren würde.
Esther vermied es, ihn anzusehen und ihr Schweigen ermutigte ihn, ihr endlich die Rose zu geben, die er immer noch in der Hand hielt. Michael legte die Rose auf den Tisch und schob sie seiner Begleiterin zu. „Für dich.“
Sie nahm die Blume und roch daran. Sie bedankte sich und lächelte Michael an. Das Lächeln verschwand jedoch sofort wieder aus ihrem Gesicht und sie wurde ernst. Es fiel ihr sichtlich schwer, das zu sagen, was sie sich letzte Nacht, als sie nicht schlafen konnte, zurechtgelegt hatte. Ihr Mann war ihr keine Hilfe gewesen. Er hatte ihr nur seinen Entschluss mitgeteilt und um den Rest hatte sie sich zu kümmern. Wie sie es machte, war ihm egal. Nur dass sie es gleich am nächsten Tag tat, war ihm wichtig. Er wollte reinen Tisch machen, niemanden mehr so nah an sich heranlassen. Die Sache mit Pirchow hatte ihn gezeichnet. Esther hatte sich über den Entschluss ihres Mannes gefreut, auch wenn sie wusste, dass es ein schwieriger Gang für sie werden würde und dass er keine Garantie dafür war, dass sich in ihrem Eheleben etwas ändern würde. Natürlich hoffte sie, dass ihre zur öffentlichen Geste erstarrte Ehe wieder an Intimität gewann. Was hatte sie auch für eine Wahl, als zu hoffen?
Sie war eine Frau Ende fünfzig, das hatte sie nie so deutlich gespürt wie jet zt. Der Mann, der ihr gegenübersaß und darauf wartete, was sie ihm zu sagen hatte, könnte ihr Sohn sein. Und vielleicht hatte er auch seine Mutter in ihr gesucht. Sie hatten nie über Persönliches gesprochen und Esther kannte Michaels Lebensumstände nicht. Aber ihr war klar, dass es einer ganz besonderen Veranlagung bedurfte, um sich auf die Treffen mit ihrem Mann einzulassen.
Sie sah Michael in die Augen und erkannte die Hoffnung, mit der er zu diesem Treffen gekommen war. Er hatte sein Kaffee-Gedeck nicht angerührt, sondern einfach nur dagesessen und gewartet auf das, was kommen würde. So kannte sie ihn. Er ließ es mit sich geschehen. Esther Wellenstein fühlte Mitleid. Auch Michael war benutzt worden und würde enttäuscht werden. Ihr Mann brauchte ihn nicht mehr und ließ ihn fallen. Und sie musste diese Nachricht überbringen. Esther rührte in ihrem Kaffee und suchte nach den richtigen Worten. Michael hatte die Hände auf den Tisch gelegt und spielte nervös mit seinen Fingern.
Esther Wellenstein legte
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