Todesfuge: Gerda und Otto Königs zweiter Fall (German Edition)
ihre Hand auf seine. „Danke, dass du gekommen bist , Michael. Ich muss unbedingt mit dir reden.“ Michael nickte und die Frau des Dirigenten erzählte ihm von den Schicksalsschlägen, die ihr Mann in den letzten Tagen erlitten hatte, sie erwähnte auch die Drohbriefe und den Mordanschlag. Michael nahm alles ohne besondere Regung zur Kenntnis, so als ob er darauf wartete, dass Esther ihm endlich sagen würde, was diese Dinge mit ihm zu tun hätten. Er schien die existentielle Bedrohung, die Wellenstein erschüttert hatte, nicht nachvollziehen zu können und zu verstehen, dass sie Konsequenzen haben würde. Er schaute Esther fragend an.
„Mein Mann kann im Augenblick keine Menschen um sich herum haben. Es wird keine weiteren Geigenstunden am Freitag geben. Den Koffer kannst du behalten.“ Michael schaute sie ungläubig an. Wellenstein konnte ihn doch nicht einfach so wegschicken.
Esther hatte ihre Ha nd von seiner genommen. Es schien alles gesagt zu sein. Doch Michael wollte nicht so schnell aufgeben, dazu war ihm die Sache zu wichtig. Er liebte Esther und jetzt hatte sie ihm gesagt, dass ihr Mann keine weiteren Treffen mehr wollte? Er wandte ein, dass zwischen ihnen doch ein besonderes Band bestehe, dass sie seelenverwandt seien und dass sie sich auf einer Ebene begegnet seien, von deren Existenz Wellenstein gar keine Ahnung hatte. Mit seinen Worten versuchte Michael sie davon zu überzeugen, dass Wellensteins Entscheidung keinen Einfluss auf ihre Beziehung haben musste.
Esther war es unangenehm, dass Michael ihr so etwas wie eine Liebeserklärung machte. Sie hatte zwar immer schon vermutet, dass der junge Mann sich zu ihr hingezogen fühlte, dass er aber die Hoffnung hegte, dass sie ähnlich empfinden könnte, erschreckte sie. Ursprünglich hatte sie sich vorgenommen, nachsichtig mit Michael zu sein, weil sie schon befürchtete, dass ihn die Absage hart treffen würde. Jetzt allerdings musste sie doch deutlich werden, weil sie lieber ein Ende mit Schrecken als langes Leid wollte. Sie sah den jungen Mann kühl an und stellte klar, dass zwischen ihnen nie eine Beziehung existiert hatte. Sie sei verheiratet - glücklich verheiratet - und die Treffen hätten nur auf ausdrücklichen Wunsch ihres Mannes stattgefunden, den sie ihm aus Abenteuerlust erfüllt hatte.
Michael wäre der letzte gewesen, den Esther Wellenstein in ihre Seele würde blicken lassen. Den Schmerz über ihre zerbrochene Ehe und ihre verlorene Ehre verschloss sie tief in ihrem Inneren und legte sie ab bei den Kränkungen durch ihren Mann, die sich in den letzten Jahren angesammelt hatten.
Michael saß da wie versteinert. Sein Gesicht war ausdruckslos und Esther war sich nicht sicher, ob der junge Mann ihr hatte folgen können. Aber es war ihr auch egal. Sie hatte gesagt, was gesagt werden musste und versucht, Michaels Gefühle zu schonen.
Mitten in das Schweigen an ihrem Tisch und Michaels Fassungslosigkeit platzten drei alte Damen, die sich munter schwatzend an den Nachbartisch setzten. Michael kämpfte mit den Tränen, das sah Esther Wellenstein und er tat ihr leid. Sie entschuldigte sich, dass sie ihn verletze, denn das sei das letzte, was er verdiene. Michael gewann seine Fassung zurück und Esther Wellenstein wechselte den Tonfall, um ihm zu versichern, dass er bestimmt auch bald seine Liebe finden würde. Sie wünschte ihm viel Glück und stand auf. In einem letzten Versuch, das Schicksal umzustimmen, ergriff Michael ihre Hand. Esther entzog sie ihm aber sofort und setzte ihre Sonnenbrille auf. „Es ist alles gesagt, Michael. Leb wohl.“
Esther Wellenstein verließ die Cafeteria und fuhr mit dem Aufzug direkt in die Tiefgarage. Erst in ihrem Auto nahm sie die Sonnenbrille ab, lehnte den Kopf an und atmete tief durch. Sie verbot sich, an Michael zu denken. Er war ab heute Geschichte. Dieser Schritt war geschafft. Esther war sich allerdings nicht sicher, ob er ihre Ehe tatsächlich verändern würde. In welches Leben fuhr sie jetzt zurück?
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Reise in den Kopf, Teil 4
Nur wer die Sehnsucht kennt, weiß was ich leide! Noch höre ich deine Stimme im Ohr, jedes deiner Worte hat sich mir ins Herz gebrannt. Du wirst meine Sehnsucht nicht stillen, bist Grund all meines Leids!
Habe ich zu gierig begehrt, was du mir verweigerst? Ich liege im Staub der Bedeutungslosigkeit, von dir zertreten und der Verzweiflung zum Fraß vorgeworfen.
Keine Träne hast du um mich geweint – meine Stimme versagt mir
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