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Todesgott

Todesgott

Titel: Todesgott Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Árni Thórarinsson
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ausgeschlafen, und mein Kopf ist für meine Verhältnisse ziemlich klar, aber die Geschichte hat dennoch überall Löcher.
    Ich führe ein Telefonat mit Reykjavík. Spüre dann, dass ich die anstehende Aufgabe nicht länger vor mir herschieben kann. Sie verfolgt mich seit dem Aufwachen, und ich weiß, dass sie mir keine Ruhe lassen wird, bis ich ihr nachgegangen bin. Ich schalte den Computer aus, nehme ein Exemplar unserer Wochenendausgabe und gehe mit schlimmsten Befürchtungen hinaus in die Sonne auf den Rathausplatz.
     
    »Gunnhildur ist nicht auf den Beinen«, erklärt mir ein Angestellter des Alten- und Pflegeheims Hóll. »Sie wollte heute nicht aufstehen.«
    Das verspricht nichts Gutes, denke ich. »Glaubst du, dass ich kurz bei ihr reinschauen kann?«
    »Ja, sie hat nichts gegen Besuche gesagt. Nicht, dass sie viel Besuch hätte …«
    »Ach, wird sie nicht oft besucht?«
    »Leider nein. Nicht, seit ihre Tochter gestorben ist. Die ist in den letzten Jahren regelmäßig zweimal in der Woche gekommen. Früher täglich. Aber sie war wohl krank.«
    »Ja, kann sein.«
    »Du hast ja das
Abendblatt
dabei. Da ist übrigens ein Artikel über die Krankheit ihrer Tochter drin.«
    Ich trete von einem Bein aufs andere. »Ach ja? Hab ich noch nicht gelesen. Ist der Artikel interessant?«
    »Ja, schon«, antwortet der Mann. »Es gibt so vieles, worüber man nichts weiß. Aber ich fand ihn vor allem traurig.«
    Er gibt mir Gunnhildurs Zimmernummer und zeigt mir den Weg. Als ich vor ihrer Tür stehe, dringt ein mattes Stöhnen aus dem Zimmer. Ich klopfe.
    Keine Antwort.
    Ich öffne die Tür einen Spalt und schaue hinein. Gunnhildur steht am Kopfende von einem der beiden Betten. Sie trägt ein Unterkleid und hat ihren Kopf durch den Halsausschnitt eines grauen Alltagskleides gezwängt, schafft es aber nicht richtig, die Arme in die Ärmel zu stecken. Ich trete ein und helfe ihr in die Ärmel.
    »Danke«, sagt sie, ohne zu sehen, wer ich bin. Als es ihr klar wird, versteinert sich ihr altes, aber hübsches Gesicht.
    »Bist du das, Junge? Wer hat dir erlaubt, hier reinzukommen?«
    »Tja, es hat mir niemand verboten«, sage ich und versuche, fröhlich zu klingen.
    »Das ist mein Zimmer. Ich hab hier zwar nicht viel zu sagen, aber ich bestimme verflucht noch mal, wer hier reindarf. Ich bestimme, wen ich treffen will.«
    »Hm«, seufze ich.
    »Und dich will ich nicht treffen.«
    Ich reiche ihr die Zeitung. »Aber ich wollte dir gerne den Artikel zeigen, damit du siehst, dass er vollkommen harmlos ist. Sogar nützlich …«
    Sie stößt mich weg. »Ich hab diesen Unfug schon gesehen. Das ganze Pack, die
Springfield-Story
-Mafia und alle anderen lassen mir keine Ruhe mehr. Man kann nicht mal mehr im Bett liegen, ohne dass man ständig gestört wird wegen deines verfluchten Artikels.«
    »Was sagen die Leute denn?«
    »Was sie sagen? Sie bedauern mich und heucheln Verständnis. Eine unerträgliche Scheinheiligkeit und Süßholzraspelei.«
    »Was? Ist es denn nicht gut, wenn die Leute Verständnis zeigen für …«
    »Ach, Gunnhildur, ich wusste ja gar nicht, wie die Dinge liegen!«, fällt sie mir ins Wort und verzieht das Gesicht, während sie mit verstellter Stimme irgendjemanden imitiert. »Ach, wie schwierig es mit der armen Dísabjörk war! Oje, wie furchtbar!«
    »Ja …«, setze ich an.
    »Dieses verdammte, verfluchte Gewäsch. Endlose Faselei von diesem verteufelten Geiri. Verfluchte Selbstrechtfertigung. Wie konntest du mir das nur antun, mein Junge!«
    Sie schüttelt ihren grauen Zopf.
    »Der Artikel stützt sich in erster Linie auf medizinische Informationen …«
    »Diesem Quacksalber glaube ich kein Wort. Ich weiß, was ich weiß.«
    Sie kreuzt die Arme vor ihrer schmalen Brust mit einem Gesichtsausdruck, der keinen Widerspruch duldet.
    »Möchtest du einen Moment mit raus in die Sonne kommen, Gunnhildur?«, sage ich, um das Thema zu wechseln. »Sollen wir einen kleinen Spaziergang machen?«
    Sie schaut mich forschend an. Dann zuckt sie mit den Schultern. »Wenn man keine große Auswahl hat, ist jede Wahl schlecht.«
    Ich helfe ihr in den Mantel, und sie wickelt sich ein Tuch um den Hals. Dann schlendern wir eingehakt, Schritt für Schritt, hinaus in den Hof von Hóll. Zahlreiche Bewohner wandern umher und genießen das schöne Wetter. Drei Männer und eine Frau stehen beisammen und rauchen nach Herzenslust.
    Ich will mir gerade eine Zigarette anzünden, als meine Begleiterin auf die Raucher zeigt. »Es gibt viele

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