Todesgott
klingelt mein Handy.
»Hallo«, antworte ich.
»Heißt du so, wie Frauen nicht sein wollen?«, sagt eine Männerstimme.
»Was? Heiße ich wie?«
»Einar – einsam.«
»Ja, so heiße ich. Wer ist denn da?«, frage ich.
»Hier ist Hauptkommissar Ólafur Gísli Kristjánsson«, antwortet die Stimme, die ich jetzt erkenne.
»Grüß dich.«
»Wie ist es denn, so zu heißen, wie Frauen nicht sein wollen?«
»Ich kann dir versichern, dass das keinen Einfluss auf mein bisheriges Leben hatte. Zumindest hat es meine Chancen auf diesem Gebiet nicht vergrößert.«
Jóa und Heiða unterhalten sich weiter.
»Wenn mich nicht alles täuscht«, sagt der Hauptkommissar, »bist du gerade in Damengesellschaft. Ich muss dich darauf hinweisen, dass du der Wahrheit verpflichtet bist.«
»Es ist jedenfalls nicht so, wie du denkst und ich mir wünschen würde.«
»Gut, dann wirst du wohl den derzeitigen Ort des Geschehens verlassen und dich an einen anderen begeben können.«
»Was? Welcher Ort? Ist was passiert?«
»Ja.«
Ich horche auf. »Sprichst du etwa von einem Tatort?«
»Ein Tatort, genau.«
»Okay. Wo soll ich hinkommen?«
»Ins Büro des
Abendblatts
.«
»Was ist denn da passiert?«
»Ich kann und will dir das am Telefon nicht sagen.«
»Ich komme. Ich komme sofort.«
Nachdem ich das Gespräch beendet habe, sitze ich einen Moment reglos da. Ist bei uns eingebrochen worden? Brandstiftung? Das Büro zerstört? Ist in unserem Haus jemand ermordet worden?
»Was ist los?«
Ich fahre zusammen. Jóa und Heiða schauen mich fragend an.
»Äh, ich weiß es nicht. Bärchen hat gerade angerufen und …«
»Bärchen?«, fragt Heiða.
»Einar nennt seine Informanten immer Bärchen«, flüstert ihr Jóa zu.
»… und er hat gesagt, ich soll sofort in unser Büro kommen. Da passiert gerade was. Oder ist schon passiert. Oder Gott weiß was.«
Ich winke dem Kellner und verlange nach der Rechnung. »Entschuldigt mich, aber die Pflicht ruft. Und Jóa, ich glaube, du solltest lieber mitkommen. Vielleicht brauchen wir Fotos.«
»Aber meine Kamera ist im Büro«, sagt Jóa.
»Dann können wir nur hoffen, dass nichts zerstört oder gestohlen wurde …«
»Und ich in meinen schicken Klamotten«, nuschelt Jóa.
Über dem Rathausplatz liegt eine beschauliche Abendstimmung. Um kurz vor elf, als Jóa und ich das kurze Stück vom Restaurant herüberkommen, ist hier noch nicht viel los. Wir bleiben in der Mitte des Platzes stehen und betrachten das Haus. Ásbjörns und Karólínas Wohnung in der oberen Etage liegt im Dunkeln, aber die Büros im ersten Stock sind hell erleuchtet.
Ich schaue mich um. Nur ein einziges Auto ist zu sehen, ein schwarzer Pkw vor dem Kiosk an der Ecke zur Fußgängerzone.
»Merkwürdig, dass überhaut keine Polizeiwagen hier sind«, murmele ich.
Jóa schweigt.
Als wir zum Haus gehen und dann leise die Treppe hinaufsteigen, spüre ich, wie mein Herz schneller schlägt. Auf dem Treppenabsatz im ersten Stock schaue ich zu Jóa. Sie ist leichenblass. Ich lege mein Ohr an die Tür. Undeutliche Stimmen sind zu hören.
Ich nehme allen Mut zusammen, greife nach der Türklinke und öffne. Der Empfang ist leer. Ich trete ein, langsam, Schritt für Schritt, Jóa folgt mir mit einigem Abstand.
Die Tür zu Ásbjörns Büro ist angelehnt.
»Also, da war ein Ehepaar in den Ostfjorden, das wollte sein Kind nach der Frau des Gemeindepfarrers benennen«, klingt es aus dem Raum. »Die Frau war außergewöhnlich groß. Das Kind wurde ein Junge, und deshalb wurde er auf den Namen Hákon, hohe Frau, getauft! Hahahahahaha!« Ich erkenne Ásbjörns wieherndes Gelächter.
»Ahahahaha!«, tönt es aus der Kehle des Hauptkommissars.
Ich stoße die Tür auf.
Ólafur Gísli und Ásbjörn zucken zusammen. Sie haben die Hemdsärmel hochgekrempelt und sitzen, die Beine baumelnd, auf Ásbjörns Schreibtisch, mit roten Gesichtern und colafarbenen Getränken in den Gläsern. Auf dem Tisch steht eine halbleere Wodkaflasche. Snúlli liegt schnarchend auf dem Fußboden.
Sie haben sich schnell wieder gefasst und prosten Jóa und mir zu.
»Skál!«, sagt der Hauptkommissar. »Skál, Herr Ermittlungsreporter und willkommen am Ort des Verbrechens!«
»Hehehehehe«, lacht Ásbjörn und hält sich den bebenden, zitternden Bauch. »Hahahaha!«
Ólafur Gísli grinst über das ganze Gesicht. »Ich wollte nur deine Reaktion testen. Deine Reaktionsgeschwindigkeit.« Er schaut auf seine Armbanduhr. »Viereinhalb Minuten. Nicht
Weitere Kostenlose Bücher