Todesgott
Möglichkeiten, sich selbst und andere umzubringen.«
Ich lasse es bleiben, stecke meine Hände in die Jackentaschen und umklammere die Zigarettenschachtel.
Sie schaut auf und kneift die Augen zusammen. »Diese verdammte Sonne. Will die uns etwa auch umbringen? Von der Stirne heiß rinnen muss der Schweiß.«
Wir gehen eine Weile schweigend über den Weg am Gebäude entlang.
»Wie ist es eigentlich, hier zu wohnen?«, frage ich, um das Gespräch in Gang zu halten.
Gunnhildur seufzt. »Wie im Flughafenhotel – die Leute haben nur eine Gemeinsamkeit: Sie warten auf denselben Abflug. Wart’s nur ab, mein Junge. Du kommst auch noch an die Reihe.«
»Hab ich mir schon gedacht.«
Sie fragt mich nach meiner Familie und Herkunft, Alter, Ausbildung und Beruf. Ich versuche, ihr zu antworten, ohne allzu sehr auf die Verwicklungen einzugehen, von denen es genügend gäbe. Als wir das Haus einmal umrundet haben, bleibt sie vor dem Eingang stehen, schaut mich mit ihren wasserblauen Augen scharf an und sagt:
»Also, jetzt hab ich diesen Spaziergang mit dir überlebt. Nun sag mir endlich, was du schon die ganze Zeit sagen möchtest.«
Ich beschließe, aufrichtig zu sein. »Es tut mir leid, dass du glaubst, ich hätte dein Vertrauen missbraucht. Das wollte ich nicht …«
Sie schüttelt stumm ihren Zopf.
»Ich bin immer noch auf nichts gestoßen, was darauf schließen lässt, dass der Tod deiner Tochter etwas anderes als ein Unfall war, ein Unfall, der sich auf ihre Krankheit zurückführen lässt …«
Gunnhildur ächzt und stampft mit dem Fuß auf. »Hör auf, Junge. Das hast du mir alles schon gesagt. Wenn du hergekommen bist, damit ich dir verzeihe, dann bist du umsonst gekommen.«
Ich rede einfach weiter: »Allerdings habe ich gestern herausgefunden, dass Ásgeir sich in Verkaufsverhandlungen über die Süßwarenfabrik befindet. Damit hattest du recht.«
Das Gesicht der alten Dame hellt sich auf. »Ja, stets besteht das Wahre nur.«
Ich hebe den Zeigefinger, um sie zu bremsen. »Und bevor ich hergekommen bin, habe ich mit deinem Schwiegersohn Guðmundur telefoniert. Unter dem Vorwand, nachfragen zu wollen, wie ihm der Artikel gefallen hat, weil er mir ja den Kontakt zu seinem Vater vermittelt hat. Es war alles in bester Ordnung. Bevor wir uns verabschiedeten, habe ich fallenlassen, ich hätte in Wirtschaftskreisen gehört, dass er und sein Vater Nammi verkaufen wollten. Er hat es mir bestätigt.«
Ich ziehe einen Notizzettel aus meiner Jackentasche. »Dann hat er wortwörtlich gesagt, ohne dass ich ihn speziell danach gefragt hätte: ›Es war schon lange an der Zeit, den Laden loszuwerden und Kapital freizusetzen. Meine Mutter war immer strikt gegen einen Verkauf. Sie meinte, das wäre eine Schande für sie und ihre Familie. Sie hat immer gesagt, uns ist diese Firma anvertraut worden, und es ist unsere Pflicht, sie vorwärtszubringen und die Kapitalrendite zu steigern. Aber das Problem war, dass die Firma nie genug Gewinn abgeworfen hat und wir kaum die Gehälter bezahlen konnten. Wie gesagt: Es ist an der Zeit.‹ Das hat dein Enkel, der Volkswirt Guðmundur Ásgeirsson gesagt.«
Gunnhildur steht sprachlos auf dem Gehweg.
»Allerdings beweisen diese Worte nicht, dass Dísabjörks Ehemann für ihren Tod verantwortlich ist, Gunnhildur. Keinesfalls. Aber ich mache weiter. Das wollte ich dir sagen.«
Sie packt mich fest am Arm. »Junge, ich hab ja zu Ragna gesagt, dass du ein bisschen einfältig bist, aber es gut meinst.«
Sie lockert ihren Griff. »Und das stimmt.«
Nach diesen Worten entschwindet sie langsam, aber erhobenen Hauptes im Alten- und Pflegeheim Hóll.
Wenn sich Gunnhildur Bjargmundsdóttirs Laune hebt, hebt sich auch meine Laune. So einfach ist das.
Ich rufe Jóa an und lade sie und Heiða zum Abendessen in den Fiðlarinn ein.
Der Ausblick auf den Fjord ist ungetrübt und grandios. Ich sitze in der grüngepolsterten Bar in der oberen Etage in der Skipagata und warte auf meine Gäste. Nippe an einer Cola, rauche und finde das Leben, wie man in der Politik sagt, vollkommen akzeptabel. Ich spüre, dass mein Verlangen nach Alkohol verschwunden ist. Vorübergehend.
Beim Essen im Speisesaal sprechen wir über alles und nichts, etwa über den vorzüglichen, delikaten französischen Hirsch auf unseren Tellern. Anschließend gehen wir wieder in die Bar. Warum fliegen die Leute eigentlich nach Kopenhagen? Oder Reykjavík?
Als Jóa und Heiða gerade ihren Kaffee und Cognac ausgetrunken haben,
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