Todesgott
mein Bester. Ich habe diese Ungeheuerlichkeit heute Morgen gesehen und wollte erst deine Meinung hören, bevor ich etwas unternehme.«
Ich schildere ihm den Vorfall.
»Ist das etwa unsere neue Ausrichtung?«, frage ich erregt. »Muss man sich an so was gewöhnen? Ein Möchtegernpromi ohne Moral, der seine Visage nicht mehr im Fernsehen zeigen darf, verbreitet dumme Witzchen und handelt so impulsiv, dass er der Zeitung und ihren Mitarbeitern schadet, und, was noch viel schlimmer ist, er zerstört das Leben unschuldiger Menschen. Nur, um sich zu profilieren und ein paar Zeitungen mehr zu verkaufen.«
»Trausti hat es bestimmt gut gemeint. Er hat die Vorgabe, dass die Zeitung jeden Tag aufs Neue überraschen und Aufmerksamkeit erregen soll«, wendet Hannes widerstrebend ein.
»Wenn es eine wichtige Meldung oder ein bedeutender Artikel gewesen wäre, dann hätte man es vielleicht wagen können, aber so …«
»Ich verstehe, was du sagst, mein Bester, aber …«
»Hör mal, Hannes«, falle ich ihm ins Wort, »wenn nicht morgen auf der ersten Seite …«
»Auf der ersten Seite, mein Bester?«
»Ja, auf der ersten Seite. Wenn wir nicht morgen eine vom Ressortleiter persönlich unterschriebene Entschuldigung abdrucken, in der er die Verantwortung für diesen Fehler übernimmt, kündige ich fristlos. Und ich verspreche dir, dass ich zu meinem Wort stehe.«
»Aber, aber …«
»Nein, kein Aber. Wenn wir das nicht tun, schneide ich mir ins eigene Fleisch. Oder was glaubst du, wie die Leute nach diesem Vorfall auf mich reagieren, wenn es um Interviews und Informationen geht? Baut man so etwa Vertrauen und Kontakte für die Zukunft auf?«
Ich höre, wie Hannes eine Zigarre anzündet, den Rauch inhaliert und wieder ausbläst. »Na gut, mein Bester. Wir machen es so. Trausti wird aus dieser Erfahrung lernen.«
»Davon bin ich ganz und gar nicht überzeugt.«
Meine Erregung ist verflogen, aber nicht meine Wut.
»Sonst irgendwelche Neuigkeiten?«, fragt Hannes, um das Thema zu wechseln.
»Ja, es gibt tatsächlich eine frohe Botschaft«, sage ich. »Snúlli ist wieder aufgetaucht. Im Lager unseres ehemaligen Ressortleiters, den ich in dieser Position mittlerweile ernsthaft vermisse, herrscht ungetrübte Freude.«
Nachdem Hannes die Geschichte von Snúllis Rettung gehört hat, sagt er: »Soso. Ich habe den Eindruck, diese großartige Neuigkeit schreit nach einem Follow-up. Wir müssen mit diesem Mädchen, der Retterin, sprechen, ein Bild von ihr und dem Hund abdrucken und die Leser in Akureyri morgen mit einer optimistischen Human-Interest-Geschichte beglücken. Erstens begrenzt das den Schaden, der – wie gerade besprochen – entstanden sein könnte. Zweitens ist es ein sympathisches Thema, in das sich alle hineinversetzen können. Drittens rechtfertigt es die beispiellose Hundefahndung im heutigen Blatt. Und viertens demonstriert das
Abendblatt
seine Fähigkeit, Menschen bei der Bewältigung ihrer Alltagsprobleme behilflich zu sein. Was hältst du davon, mein Bester?«
Ich denke kurz nach und erkenne sofort, wie klug Hannes’ Vorschlag ist. »Okay, ich kümmere mich drum. Und Trausti bekommt eins auf den Deckel?«
»Wird gemacht, mein Bester, wird gemacht.«
Der Gymnasiallehrer Kjartan Arnarson ist nicht begeistert, als ich ihn über das Ergebnis meines Gesprächs mit Hannes in Kenntnis setze.
»Das glaube ich erst, wenn ich’s schwarz auf weiß sehe«, sagt er. »Ich kann nicht ausschließen, dass ich mir, wenn nötig, rechtlichen Beistand suche.«
Karólína arbeitet vorne im Empfang; Snúlli ist wieder am Tischbein festgebunden. Sie summt bei der Arbeit eine Melodie, die an eine rostige Säge erinnert; ihre tiefe Stimme klingt beim Singen ganz anders als beim Sprechen. Ich frage nach Jóa, und Karólína teilt mir mit, Jóa sei mit ihrer Fototasche rausgegangen. Ásbjörn sitzt in seinem Büro. An seinem Specknacken lässt sich erkennen, dass er nicht mehr so deprimiert ist wie vorher. Ich erzähle ihm von Hannes’ Idee.
»Großartig«, sagte Ásbjörn. »Kommt allen zugute.«
»Du hast doch bestimmt den Namen des Mädchens, ihre Adresse und Telefonnummer aufgeschrieben.«
»Selbstverständlich. Karó und ich möchten ihr heute Nachmittag ein kleines Dankeschön zukommen lassen.«
Er zieht einen Zettel aus der Hosentasche und reicht ihn mir. Ich schreibe die Angaben auf einen anderen Zettel und gebe ihm seinen zurück.
Übers Handy erreiche ich Jóa, und kurz darauf sind wir auf dem Weg zu
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