Todesgott
bist du denn bloß auf die Idee gekommen, Geiri zu fragen? Dachtest du etwa, Geiri würde so mir nichts, dir nichts alles zugeben und sich der Polizei stellen? Wenn du nicht diese köstlichen Pralinen mitgebracht hättest, könnte man meinen, du wärst ein bisschen einfältig.«
»Tja, da hast du natürlich vollkommen recht.«
»Hast du nie Morse und Taggart geguckt?«
»Doch, doch«, antworte ich.
»Es dauert eine ganze Folge und manchmal sogar mehrere, bis man einen Mörder ausfindig gemacht, Beweise gesammelt und ihn zu einem Geständnis bewegt hat.«
»Aber …«
»Selbstverständlich ist eine Stunde im Fernsehen nur eine Zusammenfassung. Das weiß ich auch. Sie schneiden das Ganze, das ist viele Tage Arbeit, und dann setzen sie daraus eine Stunde zusammen. Natürlich müssen die Leute auch schlafen und essen und aufs Klo gehen, wie wir alle. Aber das muss man ja nicht alles zeigen. Das weißt du doch, mein Junge, nicht wahr?«
»Ja, ja.«
»Du hast also auch mit dem armen, kleinen Gummi gesprochen? Gummi ist kein schlechter Junge, auch wenn er so gern reicher wäre als andere Leute und am liebsten noch viel reicher als sein Papa, dieser Mistkerl. Die Raffgier liegt denen im Blut. Sagt man das heute nicht, dass alles in den Mobikülen liegt?«
»In den Molekülen?«
»Diese Raffgier hat er nicht von meiner Dísabjörk. Die Raffgier stammt von kaltem Blut, so kalt, wie es überhaupt nur sein kann.«
»Genau.«
Gunnhildurs Blick ist durch die Gegend geirrt, aber jetzt fixiert sie mich. »Du hast also mit dem armen Gummi gesprochen, um herauszufinden, ob ich wirklich eine verrückte alte Frau bin?«
»Ich konnte es natürlich nicht für bare Münze nehmen, dass Ásdís Björk ermordet worden ist, nur weil du das behauptet hast.«
Sie schaut mich mit einem merkwürdigen Blitzen in den Augen an.
»Würdest du es denn für bare Münze nehmen«, fahre ich fort, »wenn ich dir erzählen würde, dass der Papst in Rom von einer irren Prostituierten ermordet worden ist?«
Gunnhildur schüttelt den Kopf. »Du bist doch ein bisschen dumm, mein Junge. Eine Prostituierte, geschweige denn eine irre Prostituierte, wäre doch niemals in den Vatikan gelassen worden. Ha!« Sie schüttelt sich vor Lachen. »Der war gut! Hihihi!«
»Ich wollte damit nur sagen, dass man nie vorsichtig genug sein kann.«
»Und dieser Halunke, dieser vermaledeite Papst, der ist doch schon ganz vertrocknet! Jetzt hör aber auf!«
Sie versucht, ihr Gelächter zu unterdrücken. »Du kannst ja wirklich witzig sein, auch wenn du ein bisschen einfältig bist.«
»Schön zu hören.«
»Hast du ein Molekül?«, will sie auf einmal ernsthaft wissen.
»Ein Molekül?«, frage ich und denke: Was mache ich hier eigentlich?
»Ja, ein Molekül.«
»Ich glaube schon.«
»Kannst es mir mal leihen?«
»Leihen?«
»Ja, ich möchte eine Person anrufen, die dir deine brennenden Fragen beantworten kann. Es bringt ja nichts, den Mörder anzurufen und ihn zu fragen, ob er schuldig ist. Das bringt wirklich überhaupt nichts.«
»Du möchtest ein Mobiltelefon?«
»Ja, was denn sonst, mein Junge?«
Ich greife in meine Jackentasche, hole das Handy heraus und reiche es ihr.
Gunnhildur dreht und wendet es in ihrer Hand. »Diese neuen Molekültelefone sind für Spinnen gemacht worden. Normale Menschen können unmöglich alle diese Tasten bedienen.«
Sie gibt mir das Handy zurück. »Hier, ruf du für mich an.«
Gunnhildur rasselt ohne ins Stocken zu geraten eine Nummer herunter, die ich für sie eintippe. Dann reiche ich ihr das Gerät wieder.
»Hallo? Ragna? Hier ist Gunnhildur.«
Sie wartet.
»Hallo? Hallo?« Gunnhildur dreht das Handy hin und her und starrt es wütend an. »Das Ding ist mausetot.«
Ich wende mich zu ihr und rücke das Telefon in ihrer Hand zurecht.
Sie versucht es erneut: »Hallo? Ragna? Hier ist Gunnhildur … Was gibt’s Neues? … Weiter unten oder eher oben? … Im Kreuz? … Kenne ich … Genau. Hatte ich letztens auch … In dem Jahr, als das Treffen zwischen Reagan und Gorbatschow in Reykjavík war … War bestimmt die einzige Auswirkung dieses Treffens … Ja, natürlich hab ich’s bekommen, weil ich ständig diesen verdammten Türgriff vom Höfði-Haus, wo sie getagt haben, angestarrt habe …«
Ich stehe auf und strecke mich. Nehme mir eine Praline. Und noch eine.
»Hör zu, Ragna. Hier ist ein junger Herr bei mir … Nein, nein, nein, nicht das, was du denkst … Nein, nein … viel zu jung und
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