Todesgott
Valgarðsson, ohne dass wir einen einzigen Satz über ihn veröffentlicht haben. Nicht einen Satz!«
»Das ist ein kompliziertes Thema.«
»Aber es ist nicht kompliziert, und das solltest sogar du kapieren, dass unsere Leser ein Anrecht darauf haben, über eine Sache informiert zu werden, die alle bewegt und die in aller Munde sind. Punkt. Basta. Fuck you!«
Ich muss gestehen, dass ich mich wie ein kleiner Junge fühle, der sich viel zu oft bei seinem Papa über den älteren Bruder beschwert. »Hannes«, sage ich, nachdem ich die Sachlage erläutert habe, »der Ressortleiter ist mal wieder zu weit gegangen. Ich weigere mich, ihm auf diesem Weg zu folgen.«
»Einar«, setzt der Chefredakteur an.
Das verheißt nichts Gutes.
»Einar, du musst das in einem größeren Zusammenhang sehen. Diese Männer sind in U-Haft, weil sie unter Verdacht stehen, an der Sache beteiligt gewesen zu sein. Die Untersuchungshaft hat politische Spannungen in Reyðargerði verursacht. Das
Abendblatt
hatte nicht den geringsten Einfluss auf diese Entwicklung. Ist es nicht unsere Pflicht, sie zu dokumentieren?«
»Ich bin mir überhaupt nicht sicher, dass die U-Haft politische Spannungen in Reyðargerði verursacht hat. Es kann sich dabei schlicht und ergreifend um die Spekulationen von einer oder zwei Einzelpersonen handeln. Liegt es nicht sogar auf der Hand, dass irgendjemand darauf aus ist, das
Abendblatt
in den politischen Morast mit hineinzuziehen? Eine Art politisches Martyrium zu kreieren, Mitgefühl zu erwecken? Die Leser in die Irre zu führen? Sollten wir uns nicht lieber an die Ermittlungsergebnisse halten, als den Hirngespinsten irgendwelcher Unbeteiligter hinterherzulaufen?«
»Auch Hirngespinste sind manchmal erzählenswert, mein Bester.«
Ich beschließe, eine andere Taktik anzutesten. »Hannes, wenn du einen Sohn hättest oder wenn Trausti Löve einen Sohn hätte, was ich keinem Sohn wünsche, und dieser Sohn wäre in U-Haft wegen der Untersuchung eines schweren Verbrechens, wäre es dann für dich völlig normal und selbstverständlich, dass die Medien, oder in diesem Fall das
Abendblatt
, seinen Namen veröffentlichen und hinzufügen würde, er sei der Sohn des Chefredakteurs oder des Ressortleiters der Zeitung, was überhaupt nichts mit der Sache zu tun hat? Findest du diese Vorstellung angenehm?«
Er scheint überhaupt nicht nachdenken zu müssen: »Tatsachen sind Tatsachen, ob wir sie angenehm finden oder nicht. Es ist nicht unsere Aufgabe, die angenehmen Tatsachen von den unangenehmen zu trennen. Die Welt ist hart. Findest du, dass wir sie schönreden sollten?«
»Du bist also in dieser Sache mit dem Ressortleiter einer Meinung?«, frage ich, enttäuscht und wütend zugleich.
»Ich stimme mit dem Gedanken im Großen und Ganzen überein«, antwortet Hannes, »aber es kommt drauf an, wie man ihn im Einzelnen umsetzt.«
»Und was soll das verdammt noch mal bedeuten?«
»Genau das, was ich sage, mein Bester: Wenn wir die Namen der drei Männer bekommen, werden wir sie veröffentlichen. Wenn wir eine oder, noch besser, mehrere Personen aus Reyðargerði finden, die sich namentlich dazu äußern wollen, dass die Sache nach Politik riecht, müssen wir das bringen.«
Ich denke einen Moment darüber nach.
»Ich hatte übrigens gestern Abend einen Anruf«, unterbricht der Chefredakteur meine Gedanken. »Von einem Mann namens Ásgeir Eyvindarson. Kennst du den?«
»Und ob«, sage ich und teile Hannes meine Version unseres Gesprächs und den zugrundeliegenden Anlass mit.
»Ich habe diesem aufgebrachten Herrn gesagt, du seist ein Journalist, der weder mit Verleumdungen und Skandalnachrichten arbeite noch sich von Drohungen einschüchtern ließe. Und das
Abendblatt
ebensowenig.«
»Und?«
»Beim Abschied war er schon ruhiger als bei der Begrüßung.«
»Ich finde es bemerkenswert«, sage ich, »dass sowohl dieser Ásgeir als auch die Reyðargerði-Leute ihre Probleme immer mit politischen Hetzkampagnen in Verbindung bringen. Was soll der Unsinn?«
»Tja, ist es nicht weit verbreitet, dass Leute, die aus irgendwelchen Gründen, meist selbstverschuldet, in die Klemme geraten, persönliche und politische Hetze dafür verantwortlich machen? Es gibt nichts Menschlicheres, als anderen die Schuld an den eigenen Misserfolgen in die Schuhe zu schieben.«
»Okay. Aber diese Reyðargerði-Geschichte – das ist doch genau dasselbe, oder? Wie sollen wir uns verhalten?«
»Ich hab dir meine Meinung dazu schon gesagt, mein
Weitere Kostenlose Bücher