Todesgott
Bester.«
»Der Ressortleiter hat den Intelligenzquotienten eines Radieschens. Seiner Meinung nach ist dieser politische Zusammenhang Bullshit, wie er es auszudrücken pflegt, und trotzdem sollen wir darüber berichten. Wir sollen also über Dinge berichten, die wir für Bullshit halten?«
»Wir wissen es aber nicht«, entgegnet Hannes. »Wir müssen einfach über die öffentliche Meinung berichten, egal, ob wir sie für Bullshit halten oder nicht.«
»Hannes, ich habe große Zweifel, und sie werden immer stärker, ob ich mich bei dieser Zeitung noch länger zu Hause fühlen kann.«
»Vielleicht drehen sich deine Zweifel letztlich darum, ob wir uns noch länger in dieser Gesellschaft zu Hause fühlen können, mein Bester. Manchmal bezweifle ich das nämlich zutiefst. Aber wir können nicht so tun, als gäbe es sie nicht. Wo kämen wir denn dann hin?«
Die majestätische Kirche des Architekten Guðjón Samúelsson auf der Anhöhe in der Innenstadt von Akureyri ist voll besetzt, als ich mit zehnminütiger Verspätung zu Skarphéðinn Valgarðssons Begräbnis komme. Ich werde auf die Treppe vor der Kirche verwiesen, drücke mich dort eine Weile in der dunstigen Eiseskälte herum, lasse es dann gut sein und spaziere den Hügel hinunter ins Kulturzentrum. Dort setze ich mich in ein Café, das einer gewissen Karólína, aber gewiss nicht unserer Karó gewidmet ist.
In der darauffolgenden halben Stunde lasse ich bei einem Cappuccino meine Gedanken schweifen. Dann hole ich das Molekültelefon aus meiner Jackentasche und führe vier Telefonate.
Das erste mit der Polizeiwache Akureyri. Dort erfahre ich, dass die Namen der drei Männer, die sich in U-Haft befinden, nicht bekanntgegeben werden.
Gut.
Die übrigen Telefonate gehen nach Reyðargerði: zur Polizeiwache, zum Hotel und zum Reyðin. Niemand möchte sich namentlich zu politischen Verbindungen äußern.
Gut.
Weniger gut ist, dass ich die drei Namen vom Hotelleiter und von Elín, der Kellnerin aus dem Reyðin, erfahre sowie inkognito eine Bestätigung von Hauptkommissar Höskuldur bekomme: Agnar Hansen, Garðar Jónsson und Ivo Batorac, geboren in Kroatien.
Was zum Teufel soll ich mit diesen Namen anfangen?
Ich muss wieder los. Ich gehe hoch zur Kirche und warte fünf Minuten, bis die Tür aufgeht. Der Sarg wird von sechs jungen Leuten getragen; drei Jungen und drei Mädchen. Eines der Mädchen kenne ich: Ágústa Magnúsdóttir, die Vorsitzende des Theatervereins, mit kreideweißem, versteinertem Gesicht. Die anderen fünf sind wie zu erwarten Skarphéðinns Schulkameraden und Mitglieder des Theatervereins. Vielleicht ist auch Ólafur Einarsson unter ihnen.
Dem Sarg folgt ein gramgebeugtes Dreiergespann: ein Paar mittleren Alters und ein Junge. Der Mann hat eingefallene Gesichtszüge und ist stark abgemagert; er trägt einen viel zu großen schwarzen Anzug und ein weißes Hemd mit schwarzer Krawatte; volles, dunkles Haar als Welle nach hinten frisiert und an den Schläfen angegraut, dunkle Bartstoppeln und eine Sonnenbrille auf der geraden Nase. Die Frau ist groß und stämmig und trägt einen schwarzen Mantel; ihr rundes Gesicht ist mit einer dicken Make-up-Schicht überzogen, der Mund rotgeschminkt wie bei einer Maske. Sie scheint die hohen schwarzen Absätze nicht gewohnt zu sein und macht einen unsicheren Eindruck. Die beiden gehen eingehakt. Der Junge hat wie sein Bruder dichte Augenbrauen und langes Haar, ist aber kleiner und trägt eine runde Brille in seinem hübschen Gesicht. Er wirkt tief betrübt, geht gebeugt und schwerfällig neben seinen Eltern her und wäre bestimmt am liebsten ganz woanders.
Während der Sarg zum Leichenwagen getragen wird, beobachte ich die aus der Kirche strömenden Trauergäste.
Jóa ist mit ihrer Kamera eingetroffen und fotografiert den Trauerzug. Ich konnte sie nur mit Mühe aus dem Büro loseisen, wo sie bis über beide Ohren in Ásbjörns Aufgaben steckte.
Nicht nur die ganze Schule, sondern auch die halbe Stadt scheint anwesend zu sein. Skarphéðinn Valgarðsson war ein beliebter junger Mann.
Sind die für seinen Tod Verantwortlichen hinter Schloss und Riegel? Oder sind sie hier unter uns und begleiten ihn auf seinem letzten Weg zum Grab?
Einige Gesichter kommen mir bekannt vor.
Da geht der Schuldirektor.
Der Regisseur Örvar Páll sieht mich, grüßt aber nicht.
Kjartan Arnarson nickt mir mit ernstem Gesicht zu.
Ich spreche ihn kurz an, bevor er in der Kälte verschwindet, und frage, ob es eine
Weitere Kostenlose Bücher