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Todesgott

Todesgott

Titel: Todesgott Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Árni Thórarinsson
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an diesem Fall unverhältnismäßig ist, ist dass irgendwelche miesen Drogendealer mehr und mehr am Unglück der Leute und deren Selbstzerstörungstrieb verdienen.«
     
    Nun steht mir ein schweres Gespräch bevor. So schwer, dass ich beschließe, dem Alten- und Pflegeheim Hóll lieber einen Besuch abzustatten, als mich hinter einem Telefonhörer zu verstecken.
    »Gunnhildur, der Arzt sagt, dass sie diese Krankheit hatte, und eine Menge Spezialisten stützen seine Diagnose.«
    Die Frau mir gegenüber in der Sitzecke ist untröstlich. Das Geschwätz aus dem Fernseher ist wie lästiges Ohrensausen.
    »Es ist interessant und aufschlussreich für die Leute, darüber zu lesen. Dann wird ihnen bewusst …«
    »Und ich war so froh, dich zu sehen, mein Junge«, sagt Gunnhildur mehr zu sich selbst, mit vor Wut und Enttäuschung zitternder Stimme. »Ich dachte, du wärst endlich der Wahrheit auf die Spur gekommen. Und jetzt erzählst du mir nur von einem verleumderischen Artikel über meine Dísabjörk.«
    »Nein, nein, nein. Das wird keineswegs verleumderisch. Einfach ein Artikel über diese Krankheit und ein Interview mit Ásgeir über die Erfahrungen der Familie mit …«
    »Ein Interview mit diesem Verbrecher dient nur dem Zweck, meine Dísabjörk zu verunglimpfen«, kreischt Gunnhildur, so dass sich die Leute zu uns umdrehen und die
Springfield-Story
-Mafia die Ohren spitzt.
    »Gunnhildur«, sage ich und lege meine Hand beruhigend auf ihre, »deine Tochter wird durch einen Artikel über die Krankheit, unter der sie litt, nicht verunglimpft.«
    Sie zieht ihre Hand weg. »Sie war nicht krank. Sie fühlte sich nur unwohl. Sie hatte nur eine einzige Krankheit, und das war dieser Schuft. Dieser verfluchte Geiri war ihre Krankheit.«
    »Aber das kann ich nicht schreiben. Das musst du doch verstehen.«
    »Das kannst du nicht, nein? Ihn nimmst du ernst und schreibst das, was er sagt. Aber mich nimmst du nicht ernst und schreibst nicht, was ich sage.«
    Mir fehlen schon wieder die Worte.
    »Ich bin ja nur eine verrückte Alte!«, schreit sie und schaut mich so verletzt und vorwurfsvoll an, dass ich mich dazu zwingen muss, ihrem Blick standzuhalten.
    »Der Meinung bin ich ganz und gar nicht«, sage ich leise, in der Hoffnung, sie möge ihre Stimme ebenfalls senken. »Und ich hab wirklich versucht, herauszufinden, ob du bezüglich des Todes deiner Tochter recht hast. Aber die Wahrheit ist, dass du mit deiner Auffassung allein dastehst.«
    Gunnhildur nimmt ihren Gehstock und rappelt sich mühsam hoch. »Ich hätte niemals mit dir sprechen sollen, mein Junge. Du hast alles nur noch schlimmer gemacht«, murmelt sie. »Alles nur noch schlimmer.«
    Ich stehe auf und lege ihr meinen Arm und die Schulter. »Dieser Artikel«, flüstere ich ihr ins Ohr, »wird Dísabjörk auf keinen Fall verunglimpfen. Du musst akzeptieren, dass sie diese Krankheit hatte, Gunnhildur. Der Artikel wird das Verständnis der Leute dafür verstärken.«
    Sie schüttelt meine Hand von ihrer Schulter und würdigt mich keines Blickes.
    »Und eine andere Sache ist«, füge ich hinzu, »dass ich mir bei der Todesursache keineswegs sicher bin. Aber ich hatte keine andere Wahl – ich musste mich unter dem Vorwand, über diese Krankheit schreiben zu wollen, der Sache nähern.«
    Gunnhildur dreht sich zu mir und schaut mich mit feuchten Augen an. »Und was willst du mir damit sagen, mein Junge?«
    »Ich möchte dir damit sagen, dass ich weiter in dem Fall recherchieren werde.«
    Sie marschiert mit ihrem Stock in der Hand los.
    »Ich tue mein Bestes«, sage ich zu ihrer Rückansicht, die weder freundlich noch vertrauensselig wirkt; die Rückansicht eines Menschen, der sich endgültig geschlagen gibt.
     
    Als ich wieder im Schrank sitze und begonnen habe, die ersten Sätze meines hochgelehrten Artikels über Hypochondrie zu schreiben, fühle ich mich elend. Ich habe es einfach nicht übers Herz gebracht, der alten Dame zu sagen, dass ihre Tochter medikamentenabhängig war und sich vor dem Sturz in den Fluss alle möglichen Pillen einverleibt hat. Ebensowenig konnte ich ihr sagen, dass ich nicht die geringste Ahnung habe, wo ich weiterrecherchieren soll.
    Ich reiße mich zusammen und schreibe weiter. Gegen Nachmittag sind der Artikel und das dazugehörige Interview mit dem Patientenangehörigen Ásgeir Eyvindarson fertig. Er hat den Artikel gegengelesen und seine Zustimmung erteilt. Ich schicke den Text nach Reykjavík, zusammen mit einem Foto, das Jóa heute Morgen von

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