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Todesgott

Todesgott

Titel: Todesgott Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Árni Thórarinsson
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mir vorgestern mit seinem Hippokrateseid über die Schweigepflicht den förmlichen Spezialisten vorgegaukelt hat? Die Menschen sind wirklich seltsam. Um sich das Leben zu erleichtern, versucht man, sich mit unzulänglichen Mitteln und völlig willkürlich ein Bild von Personen zusammenzureimen, sie in Schubladen zu stecken, aber bevor man sich versieht, haben diese Personen das Bild wieder zerstört und die Schublade verlassen. Mir scheint es jedenfalls nicht sonderlich gut zu gelingen, Menschen zu typisieren. Wahrscheinlich, weil ich sie in meine eigene Form pressen möchte.
    »Hallo?«
    Ich werde aus meinen scharfsinnigen Gedanken gerissen. »Ja, ich bin noch dran. Ich arbeite, wie gesagt, an diesem Artikel über Hypochondrie. Könntest du mir vielleicht dabei behilflich sein?«
    »Tja, Hypochondrie. Es liegt wohl auf der Hand, dass ich mittlerweile auf diesem Gebiet, das sich nur sehr schwer eingrenzen lässt, Spezialist bin.«
    Daraufhin hält er mir einen langen Vortrag über die Krankheit, den internationalen Forschungsstand, Merkmale, Besonderheiten und Variationen, die mir bereits bekannt sind.
    »War Ásdís Björk nach deinem Kenntnisstand ein ungewöhnlicher Fall?«, frage ich bei erster Gelegenheit.
    »Das würde ich nicht sagen. Sie war eher das typische Beispiel für einen schweren Fall. Sämtliche Behandlungen schienen bei ihr nur eine gewisse Zeit zu wirken.«
    »Wenn ich Ásgeir richtig verstanden habe, wurden verschiedene Medikamente ausprobiert?«
    »Das ist richtig.«
    »Ist dir aufgefallen, dass sie Medikamente überdosiert hat?«
    »Zeitweise ja. Aber ich will da nicht ins Detail gehen. Ásgeir möchte das Privatleben der Eheleute nicht in allen Einzelheiten offenlegen.«
    »Nein«, stimme ich ihm zu, während ich nach einer möglichst raffinierten Formulierung suche. »Und welche Medikamente waren in der letzten Zeit am erfolgreichsten? Ich meine, zu welchem Ergebnis führte die Behandlung?«
    »Wir können bei dieser Behandlung leider nicht von einem Ergebnis sprechen. Zumindest von keinem anderen Ergebnis, als dass Dísabjörk viel zu früh gestorben ist.«
    »Wurde sie zum Zeitpunkt ihres Todes medikamentös behandelt?«
    Er antwortet nicht sofort. »Tja, es ist bestimmt in Ordnung, wenn ich dir sage, dass sie Prozac genommen hat. Das sollte wohl nicht schaden.«
    »Nur Prozac?«
    »Ja, nur Prozac. Antidepressiva erzielten bei ihr meistens die beste Wirkung. Dadurch war sie weniger besorgt und ist auf andere Gedanken gekommen. Zumindest eine Zeitlang.«
    Ich bedanke mich bei ihm für die Informationen. Ich würde ihn gern fragen, ob Prozac einen so verstörenden Einfluss gehabt haben könnte, dass die Frau im Boot das Gleichgewicht verloren haben und hinausgestürzt sein könnte, aber mir ist klar, dass diese Frage von ihm nicht positiv aufgenommen würde.
    Deshalb sage ich: »Je mehr ich über Ásdís Björk und diese Krankheit oder eingebildete Krankheit erfahre …«
    »Das ist keine eingebildete Krankheit«, fällt mir der Arzt ins Wort. »Für den Patienten ist sie vollkommen real. Das muss aus deinem Artikel ganz eindeutig hervorgehen.«
    »Ja, ja, entschuldige. Ich hab das falsch formuliert. Aber je mehr ich über die Krankheit erfahre, desto mehr scheint sie mir von einem seelischen Schmerz herzurühren. Von einem starken Unglücksgefühl.«
    »Meiner Ansicht nach, aber das darfst du auf gar keinen Fall in deinem Artikel zitieren, ist das vollkommen korrekt.«
    »Habt ihr euch gut gekannt?«
    »Ja. Dísabjörk und ich haben uns ziemlich gut gekannt, schon seit der Schulzeit, und damals gab es noch keinerlei Anzeichen einer Krankheit. Ihr wunder Punkt war vielleicht in erster Linie ihre liebenswürdige Art und ihr inniges Bedürfnis, anderen zu gefallen, sich um andere zu kümmern, andere glücklich zu machen. Es schien von einer gewissen Unselbständigkeit oder Unsicherheit herzurühren. Aber woher sie das hatte, das weiß der liebe Himmel.«
    »Welche Art von Unglücklichsein und Unwohlsein? Hat sie dir oder den Spezialisten, bei denen sie in Behandlung war, nicht anvertraut, was sie gequält hat?«
    »Selbst wenn das so wäre, dürfte ich es dir nicht erzählen. Damit wären wir schon zu weit im Privatleben dieser Leute.«
    »Ja, ich verstehe. Aber könnte man sagen, dass die Hypochondrie eine Art unbewusster Hilferuf war?«
    »Zumindest ein unbewusster Schrei nach Aufmerksamkeit.«
    Bevor wir uns voneinander verabschieden, rutscht mir heraus: »Manchmal hat man den Eindruck,

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