Todeshaus am Deich
Zorn der rundlichen Köchin sehr schnell wieder
verflog.
»Nehme zum Beispiel den Herrn Baron. Mal kommt er zum
Essen, mal nicht. Nie er sagt vorher Bescheid. Die Leute in Russland haben
gewusst, warum sie die Adligen alle hingemacht haben.« Dabei deutete Irina
Schmidt die international bekannte Geste des Halsabschneidens an und lachte
dabei. »Wo ist dieser Teufel von Hase? Nicht da. Und andere manchmal auch nicht
kommen. Wie Frau Beckerling. Hat Zettel hierhin gelegt.« Die Babuschka klopfte
mit der flachen Hand auf den Küchentresen. »Heute keinen Appetit zum Abendbrot,
weil sie morgen zur Dialyse muss. Will nicht mehr gestört werden.«
Anke tätschelte der aufgebrachten Köchin den Oberarm.
»Ist ja gut, Irina. Ich werde nachher noch einmal nach
Frau Beckerling sehen.«
»Ich glaube, dass ist nicht mehr erforderlich, weil
Regina schon hat gemacht.«
»Bist du dir sicher?«, fragte Anke nach.
»Ja, schon. Aber Regina ist jetzt weg. Hat schon
Feierabend, weil morgen hat Frühschicht.«
»Nun, gut«, sagte Anke im sanften Ton und drehte sich
um. »Dann werde ich mal versuchen, die Rasselbande da draußen wieder zu
beruhigen.«
*
Zwei Stunden später saß Christoph auch bei Tisch. Er
wurde allerdings nicht von Schwester Anke, sondern von Judith bedient, der
Wirtin von Dragseth’s Gasthof, Husums ältestem Restaurant. Ihm gegenüber saß
Anna Bergmann und beobachtete ihn, wie er gedankenverloren den Salzstreuer in
seinen Händen drehte.
»Mittlerweile kenne ich dich gut genug, um zu wissen,
dass dich etwas beschäftigt. Ist es immer noch unsere kleine
Meinungsverschiedenheit vom Montag?«
Sie nahm ihm entschlossen das Gefäß fort und hielt
dafür seine Hand in der ihren.
»Ach was«, wehrte Christoph ab. »Wir nagen dort an
zwei Fällen, in denen wir nicht so recht weiterkommen. Das eine ist ein
ungeklärter Todesfall, bei dem sich nicht genau feststellen lässt, ob es ein
natürlicher Tod war oder nicht.«
»Kannst du Einzelheiten erzählen?«
Er schüttelte den Kopf und sah Judith an, die ihnen
die Getränke brachte. Als sich die Wirtin wieder zurückgezogen hatte, fuhr
Christoph fort: »Genauso wenig wie du über die Krankheitsgeschichten eurer
Patienten plauderst, werde ich dich in die Details unserer Ermittlungen
einweihen.«
Sie tätschelte vorsichtig seine Hand, was er geschehen
ließ.
»Steht es im Zusammenhang mit dem Tod des alten Mannes
in der Hauke-Haien-Residenz?«
Christoph sah ihr prüfend in die grünen Augen.
»Woher weißt du davon?«
Sie blies eine vorwitzige Haarsträhne aus ihrem
Gesicht.
»Mein Chef erwähnte es beiläufig. Die Ärztin …«
»Dr. Michalke.«
»Ja, die. Sie hat Doc Hinrichsen angerufen, weil sie
wusste, dass er gelegentlich für euch arbeitet und über Erfahrung bei
unnatürlichen Todesursachen verfügt.«
»Und?«
»Mein Chef kennt den Fall nur aus der Schilderung Dr.
Michalkes. Er hat ihr aber zugestimmt. Diese Seniorenresidenz ist sowieso etwas
merkwürdig.«
Christoph war hellhörig geworden. Eigentlich hatte er
sich auf einen privaten Abend gefreut, ohne über dienstliche Belange sprechen
zu müssen, doch nun hatte ihn Annas vage Andeutung neugierig gemacht.
»Einige der Senioren sind unsere Patienten.«
»Wer?«
Sie hob beide Hände zu einer Abwehrgeste.
»Siehste! Jetzt muss ich schweigen.« Sie hielt einen
Moment inne und zeigte zwei Reihen strahlend weißer Zähne, als sie versonnen
lächelte. »Einer von denen ist ein besonderer Kauz. Jeweils zum Quartalsanfang
kommt er in die Praxis und weigert sich, die zehn Euro zu bezahlen. Er besteht
darauf, dass wir um die Praxisgebühr zocken.«
»Da bist du doch nicht drauf eingegangen?«
»Doch. Natürlich.«
»Und wer zahlt die Gebühr, wenn er gewinnt?«
Anna gab ihm einen leichten Klaps auf den Handrücken
und zog dann ihre Hand von der Tischplatte zurück.
»Er hat noch nie gewonnen, weil er keine Chance dazu
hatte.«
»Heißt das, du behumst ihn?«
Anna nahm einen Schluck aus ihrem Weinglas.
»Selbstverständlich. Jedes Mal. Männer wollen
manipuliert werden. Oder glaubst du, mein lieber Christoph, dass du immer Herr
deines Willens bist?«
Jetzt lachte er auch. »Soll das heißen …?«
»Von Anfang an. Du wärst doch gar nicht auf die Idee
gekommen, eine kleine Arzthelferin zum Italiener einzuladen, geschweige denn
ein Verhältnis mit ihr zu beginnen.«
»Also …«, empörte er sich künstlich und griff zu
seinem Bierglas.
Nachdem er getrunken hatte, fuhr er sich mit
Weitere Kostenlose Bücher