Todeshunger
dem Chemikalienlager gehe, fällt mir auf, dass eine Kämpferin am hinteren Ende angekettet ist. Sie hat eine schwere Kette mit Vorhängeschloss um die Taille, die wiederum mit einem tief in den Boden gerammten Metallpflock verbunden ist.
»Was hat das zu bedeuten?«, fragte ich leise, weil ich nicht will, dass sie es hört. Er nimmt die Brille ab und reinigt das verbliebene Glas mit dem Hemdzipfel.
»Sind Sie noch nie Brutalos begegnet?«
»Brutalos?«
»So nennen wir sie.«
»Sie? Das hört sich an, als wären sie anders als wir.«
»Eigentlich nicht«, sagt er seufzend, als wäre es mühselig, das zu erklären. »Sie sind wie wir, nur extrem.«
»Extrem?«
»Sind Sie der Mann, der sich hier versteckt hatte?«
»Ich hatte mich nicht versteckt, nur …«
»Warum haben Sie nicht angegriffen?«
»Was?«
»Als diese diebischen Dreckskerle heute Morgen eingetroffen sind, warum haben Sie sie nicht angegriffen?«
»Weil ich nicht wusste, wie viele es insgesamt waren. Ich hatte nicht die geringste Ahnung, was für Waffen sie haben und …«
»Genau«, unterbricht er mich und setzt die Brille wieder auf. »Sie haben gewusst, es besteht das Risiko, dass Sie bei einem Angriff getötet werden könnten.«
»Das Risiko hat sich nicht gelohnt.«
»Niemand macht Ihnen einen Vorwurf«, sagt er, lehnt sich an das Chemikalienlager und schirmt die Augen vor der höherstehenden Sonne ab. »Ich hätte vermutlich ebenso gehandelt.«
»Und worauf wollen Sie hinaus?«
»Ich will darauf hinaus, dass ein Brutalo nicht gezögert hätte. Das können sie nicht. Die wittern Unveränderte, und schon jagen sie sie und greifen an, ganz gleich, wie schlecht die Chancen stehen.«
»Heilige Scheiße …«
»Aber nützlich sind sie. Sie geben gute Wachhunde ab! Sehen Sie sich doch nur die an …«
Er nickt in Richtung der Frau, die am hinteren Ende der Gaskammer angekettet ist. Sie zerrt fast ununterbrochen an den Fesseln und brennt darauf, den Feind zu jagen, der, wie sie weiß, immer noch irgendwo da draußen ist. Ich bin fasziniert von ihrem rot angelaufenen, wütenden Gesicht, und doch sieht sie in einem anderen Licht gar nicht wie ein Killer aus. Wenn sie sich entspannt, wirken ihre Gesichtszüge überraschend weich, sanft und feminin.
»Sie könnte eine Mutter sein …«
»War sie. Ihr Name ist Pat. Als wir sie gefunden haben, hatte sie jemanden bei sich, der sie vor der Veränderung kannte. Sie war Grundschullehrerin. Kaum zu glauben, was? Eine angesehene Stütze der Gesellschaft, konnte prima mit Kindern umgehen, hätte keiner Fliege etwas zuleide getan …«
»Unglaublich.«
»Mein Bruder war ein Brutalo«, fährt er fort. »Vom Metallarbeiter zum Killer, einfach so, über Nacht.«
»Was ist mit ihm passiert?«
»Wir haben ihn verloren.«
»Tut mir leid, ich …«
»Oh, er ist nicht tot, glaube ich jedenfalls nicht. Wenn ich sage, dass wir ihn verloren haben, dann meine ich, dass der gerissene Fuchs die Ketten abgestreift hat und abgehauen ist. Der Himmel weiß, wo er jetzt steckt. Vermutlich spielt das eh keine Rolle, solange er nur schön weitertötet. Ihr Begleiter ist da drin, oder?« Er klopft an die Wand des Chemikalienlagers.
»Was?«, murmle ich, weil ich noch an den vermissten Bruder dieses Mannes denke und ganz vergessen habe, warum wir hier sind. »Ja, Entschuldigung. Er ist hinten.«
Als wir die Tür geöffnet haben und bereit sind, Adam
herauszuschaffen, kommt er gerade wieder zu Bewusstsein. Er ist immer noch in ziemlich schlechter Verfassung; blass und kaum imstande, sich zu bewegen. Wir improvisieren eine Bahre aus Holz von den Wänden des Hauptgebäudes und tragen ihn zu zweit zu den anderen zurück.
6
M ein Name ist Preston«, sagt ein entwaffnend selbstsicherer, schmieriger Mann, ergreift meine Hand und schüttelt sie heftig. Ich weiß jetzt schon, dass ich ihn nicht mag. Er ist zu laut und aufdringlich. Er erinnert mich an die Abteilungsleiterin, die ich bei der Arbeit nicht ausstehen konnte; je höher sie auf der Firmenleiter steigen, desto arroganter, eingebildeter und herablassender werden sie. Er trägt eine bizarre Kombination aus Militärund Zivilkleidung. In der Kluft sieht er aus wie ein Daddy, der als General aus dem Zweiten Weltkrieg zu einem Kostümfest geht.
»Danny McCoyne.«
»Freut mich sehr, Danny. Haben Sie gegessen?«
»Ja, ich …«
»Ausgezeichnet. Sind Sie schon jemandem vorgestellt worden?«
»Ein paar Leute habe ich bereits kennengelernt. Ich weiß nicht, ob
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