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Todesinstinkt

Todesinstinkt

Titel: Todesinstinkt Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Heyne
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Younger, Colette und Luc – auf Zehenspitzen – hinab auf die Dächer von Gebäuden, die ihrerseits höher waren als die höchsten Kathedralen Europas. Unglaublich weit unten floss und hielt der Verkehr — winzige Menschen, Automobile, Busse – in einem seltsam langsamen Rhythmus. Das war keine schlichte Vogelperspektive. Es war die Perspektive, die den Verstoß Amerikas gegen den ersten
Grundsatz der Göttlichkeit bezeugte: die Trennung zwischen Himmel und Erde.
    Hinter ihnen öffnete sich abermals die schwere Eichenpforte, und ein weiterer Strom von Besuchern ergoss sich auf die Plattform. Unter den Neuankömmlingen befand sich auch ein Mann mit einem tief ins Gesicht gezogenen Filzhut. Er hinkte, und sein glatt rasiertes Gesicht war übersät mit roten Flecken – offenkundig Brandmale.
     
    A ls die Reporter im Gänsemarsch sein Büro verließen, setzte sich Big Bill Flynn an den großen Eichenschreibtisch und nahm einen Füllfederhalter in die Hand wie jemand, der wichtige Dokumente unterzeichnen muss. Allerdings waren die einzigen Papier auf seinem Schreibtisch Zeitungen. Zu beiden Seiten hinter ihm hatten sich zwei Assistenten in dunklen Anzügen postiert, die Hände auf dem Rücken, die Beine breit aufgepflanzt.
    Littlemore blieb auf seinem Platz, den Zahnstocher im Mund, und inspizierte aufmerksam eins der Flugblätter. »Ist das nicht seltsam?« Seine Frage richtete sich an niemand Bestimmten.
    Flynn wandte sich an einen seiner Assistenten. »Ist der Kerl taub?«
    »Hey, Kumpel, bist du taub?«, meinte der Angesprochene.
    »›Oder es ist der sichere Tod für euch alle‹«, zitierte Littlemore aus der handgedruckten Botschaft. »Das nenne ich eine Drohung, schließlich steht da, was passieren wird. Aber was ist mit dem, was schon passiert ist? Ich meine, wenn Sie die Wall Street in die Luft gejagt hätten und eine Nachricht hinterlassen würden, würden Sie dann nicht was darüber
erzählen, was Sie für eine Nummer abgezogen haben? Sie wissen schon, so was Unheilvolles wie ›Das heute war erst der Anfang‹. Oder eine kleine Herausforderung: ›Heute haben wir die Wall Street weggeblasen, als Nächstes sind alle Straßen dran.‹«
    »Wer ist der Kerl, verdammt?«, schnaubte Flynn.
    »Wer sind Sie, verdammt?«, wiederholte ein Assistent.
    »Captain James Littlemore. New Yorker Kriminalpolizei, Mordkommission. Commissioner Enright hat mich als Verbindungsmann zum Bureau eingeteilt. Ich soll Ihnen meine Dienste anbieten.«
    »Ach ja?« Flynn holte Luft. »Wir brauchen keinen Verbindungsmann, weil es keine Verbindung geben wird. Und jetzt verschwinden Sie, und zwar ein bisschen plötzlich.«
    Flynns zweiter Assistent beugte sich vor und flüsterte seinem Vorgesetzten etwas ins Ohr.
    »Was Sie nicht sagen.« Flynn lehnte sich zurück. »Sie sind also derjenige, der diesen Fischer aufgetan hat?«
    »Das stimmt«, bekannte Littlemore.
    »Und jetzt sind Sie der Meinung, Sie sind da auf was Wichtiges gestoßen, Littleboy?«
    »Könnte sein.«
    »Dann verrate ich Ihnen jetzt, was Sie haben. Einen Spinner, den Sie in einer Anstalt vernehmen müssen.«
    »Das muss sich erst zeigen.«
    »Das hat sich schon gezeigt«, konterte Flynn. »Er sitzt nämlich in einer.«
    »Wo?«
    »Finden Sie’s raus, wenn Sie mit ihm reden wollen.«
    »Und woher wissen Sie das?«
    »Sagen wir einfach, es ist mir aus der Luft zugeflogen.«
Wieder bebte Flynns Oberkörper. Seine Assistenten hielten die Bemerkung anscheinend für sehr geistreich, denn auch sie lachten.
    »Na, dann darf ich Ihnen wohl gratulieren, Chief Flynn.« Littlemore wandte sich wieder dem Handzettel zu, den er jetzt über dem Kopf ins Licht hielt. »Hab ich noch nie erlebt, dass so ein großer Fall so schnell geklärt wird.«
    »Deswegen verdienen wir auch besser«, meinte Flynn.
    »Sagen Sie, Chief, sind Ihnen auch die vielen Soldaten vor der Treasury aufgefallen? Ich frage mich, was die da machen.«
    »Die sind da, weil ich sie herbefohlen habe. Jemand muss doch das Eigentum der Vereinigten Staaten schützen, wenn die Polizei pennt. Und jetzt hauen Sie ab.«
    »Ja, Sir.« Littlemore blieb vor der Tafel mit der Straßenkarte von Lower Manhattan stehen und kratzte sich am Kopf. »Das ist schon so eine Sache mit diesen Anarchisten — wie fängt man Leute, die das Unmögliche schaffen?«
    »Was soll unmöglich sein?«
    »Na ja, sie stellen ihren Pferdekarren um 11.54 Uhr an der Wall Street ab, marschieren in vier Minuten rüber zum Briefkasten an der Ecke Cedar

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