Todesinstinkt
»Wissen Sie was, Stanky? Heute sollten Sie mir lieber nicht widersprechen. Überprüfen Sie die handschriftliche Liste.«
»Die, ähm, handschriftliche Liste?«
»Hallo?«, drang es aus dem Telefon.
»Bleiben Sie dran!« Littlemore musterte seinen Untergebenen. »Soll ich es Ihnen buchstabieren? Sie und Spanky haben Karteikarten zu allen Opfern angelegt. Ich habe angeordnet, dass Sie daraus eine Liste erstellen. Die Liste haben Sie geschrieben. Dann habe ich angeordnet, Sie sollen die Liste abtippen lassen. Das hier ist die getippte Liste. Und jetzt hätte ich gern, dass Sie nochmal die handschriftliche Liste heraussuchen. Verstanden? Der Name des Mannes hat mit R angefangen, das weiß ich von seiner Marke. Vielleicht haben Sie auch noch andere übersehen.«
»Ist da jemand?«, quäkte das Telefon.
»Ähm, die handschriftliche Liste ist fort«, bekannte Stankiewicz.
»Gottverdammt, bleiben Sie dran, sage ich!«, brüllte Littlemore in den Hörer. Er fixierte Stankiewicz. »Was soll das heißen, fort?«
Stankiewicz antwortete nicht.
»Na schön, Stanky. Sie haben die handschriftliche Liste weggeworfen. Saubere Arbeit. Und was ist mit den Karteikarten? Erzählen Sie mir nicht, die haben Sie auch weggeworfen!«
»Ich glaube nicht, Sir.«
»Das will ich sehr hoffen. Sonst sind Sie nächste Woche wieder im Streifendienst. Gehen Sie alle Karten durch.
Und passen Sie auf, dass Ihnen diesmal keiner durchrutscht.«
Wieder allein stellte sich Littlemore dem Vizepräsidenten des Tennisverbands vor und fragte ihn, ob ein gewisser Edwin Fischer je die US-Open gewonnen hatte.
»Edwin Fischer?« Das Knistern wurde lauter. »Der Herr, über den alle Zeitungen berichten?«
»Genau der.«
»Ob er je die US Open gewonnen hat?«
»Ich habe zuerst gefragt.«
»Natürlich«, antwortete der Vizepräsident.
»Wie oft?«
»Wie oft?«
»Lassen Sie mich raten«, sagte der Detective. »Öfter als dreimal?«
»Oh ja, mindestens viermal, im gemischten Doppel. Ein Rekord, glaube ich. Damals war er die Nummer neun im Land. Hat immer noch einen der besten Überkopfschläge überhaupt. Aber wie um alles in der Welt konnte er von dem Anschlag wissen?«
Littlemore hängte auf. Ein Bote trat ins Büro und übergab dem Detective ein Päckchen, das einen schriftlichen Bericht und einen Umschlag enthielt. In dem Umschlag befand sich ein weißer, säuberlich in zwei Hälften zerbrochener Zahn.
Am Nachmittag traf sich Littlemore mit Younger in einem Imbiss und berichtete ihm bei säuerlichem Kaffee, dass die Rothaarige im Bellevue Hospital immer noch bewusstlos war.
»Sie hätte längst aufwachen müssen.« Younger schien
nachdenklich. »Die Schüsse haben sie nicht am Kopf getroffen. Auch sonst hat sie keine Schädelverletzung.«
»Und was ist das mit ihrer Stimme? Colette sagt, sie klang wie ein Mann.«
»Offenbar drückt die Wucherung an ihrem Hals auf die Stimmbänder. Gestern habe ich Röntgenaufnahmen von ihr gemacht.«
»Wie haben Sie denn das angestellt?«
Younger ließ die Frage unbeantwortet. »Die Röntgenstrahlen sind nicht durchgedrungen. So was habe ich noch nie gesehen. Morgen fahre ich nach New Haven, um zu sehen, was Colette von den Bildern hält.«
»New Haven?« Littlemore runzelte die Stirn. »Sie dürfen den Staat nicht verlassen, Doc. Ihnen wird eine schwere Straftat zur Last gelegt, und Sie sind nur auf Kaution frei, wissen Sie noch?«
Younger nickte. Das Argument schien ihn nicht weiter zu beeindrucken.
»Das ist ernst«, insistierte Littlemore. »Wenn Sie sich nicht an die Kautionsauflagen halten, können Sie im Gefängnis landen.«
»Ich werde daran denken.«
»Daran denken? Dann will ich es mal anders ausdrücken. Wenn Sie verschwinden, möchte ich nichts davon wissen. Und was Sie auch machen, zu Ihrem Gerichtstermin in zwei Monaten müssen Sie auf jeden Fall erscheinen.«
»Warum?«
»Weil ich die Bürgschaft unterschrieben habe, Herrgott nochmal. Wenn Sie nicht aufkreuzen, werden mein Bankkonto und mein gesamter Besitz beschlagnahmt, um die Kaution zu begleichen. Außerdem werde ich wahrscheinlich
gefeuert, weil es nicht so gern gesehen wird, wenn ein Polizist seinen Kumpel per Kaution rauspaukt – vor allem nicht, wenn der Kumpel dann die Fliege macht. Verstanden? Seit wann ist Ihnen das Gesetz eigentlich so egal?«
»Wenn man Gefahr läuft, in einem Sturm umzukommen«, erwiderte Younger, »und man sieht eine Scheune, in die man sich retten kann – bleibt man dann draußen oder bricht
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