Todeskind: Thriller (German Edition)
töten gespürt hatte. Nicht mehr, seit er seine sterbende Frau im Arm gehalten hatte. Es war Simones Pein gewesen, die seine Mordlust knirschend zum Halten gebracht hatte. Daphnes Mutter hatte so viel verloren – ihren Mann, die Kindheit ihrer Tochter, ihre Familie – und sie hatte keine Chance bekommen, ihrer Tochter beizustehen, weil man das Mädchen derart eingeschüchtert hatte, dass es stumm geworden war.
Ja, Simones Reaktion hatte ihm schwer zu schaffen gemacht. Aber Maggies … Maggies Reaktion hatte ihn vollkommen verblüfft. Er hätte erwartet, dass sie für Simone da sein wollte, dass sie sie in die Arme genommen und getröstet, mit ihr geweint hätte. Aber das Gegenteil war der Fall gewesen. Maggie hatte sich abseits gehalten wie eine unbeteiligte Beobachterin und keinerlei Regung gezeigt. Sie hatte reagiert, indem sie gar nicht reagiert hatte.
Vielleicht ist das ihre Art, mit einem Verlust umzugehen. Doch sein Instinkt sagte ihm, dass es hier um etwas anderes ging. Nur – um was? Aber darüber musste er später nachdenken.
Im Augenblick stand Daphne also am Fenster und wirkte einsam und verlassen. Er wusste nicht, was er zuerst ansprechen sollte – ihren Sohn, ihre Mutter, ihr Trauma oder seine Reaktion auf die schreckliche Geschichte. Also beschloss er, sich zuerst mit dem einfachsten Thema zu beschäftigen: Ford.
»Es hat nichts mit dir zu tun, das weißt du, nicht wahr?«, fragte er leise.
»Was genau meinst du? Da gibt es so vieles zur Auswahl.«
Er trat hinter sie und schlang ihr die Arme um die Taille, und sie lehnte sich gegen ihn und seufzte voller Verzweiflung.
»Ford ist erwachsen, Daphne«, sagte Joseph. »Es gibt bestimmte Dinge, die er nun allein durchstehen muss. Als meine Frau starb, zog ich mich in mich selbst zurück. Ich wollte nicht angefasst werden, ich wollte mit niemandem reden, nicht mal mit meinen Eltern. Ich musste meine Wunden lecken und die Geschehnisse verarbeiten. Und in mancher Hinsicht ist es für Ford schlimmer als ein Todesfall. Er hat gerade erfahren, dass Kim nicht die Frau ist, für die er sie gehalten hat. Er muss seine Wunden lecken. Seine Würde wiederfinden.«
»Ich weiß. Und es ist wohl nicht meine Aufgabe, ihm das abzunehmen.« Er war sich nicht sicher, ob die leichte Betonung in ihrer Antwort für ihn oder für sich selbst gedacht gewesen war.
»Nein, ist es nicht. Aber es ist deine Aufgabe, ihm das abnehmen zu wollen. Du bist die Mutter. Gute Mütter tun das. Noch bessere Mütter nehmen sich zurück und geben ihren Kindern Raum, sich selbst zu entwickeln.«
»Ich bin einfach daran gewöhnt, dass er sich auf mich verlässt«, erwiderte sie verzagt.
»Er hat dich ja nicht zurückgewiesen. Er wird dich immer brauchen. Aber Schmerz gehört zum Leben, und er muss lernen, ohne deine Hilfe damit fertig zu werden.« Er küsste sie hinters Ohr. »Zu wissen, dass du da bist, wenn er dich braucht, ist ihm in einer solchen Zeit eine große Stütze. Er arbeitet mit Sicherheitsnetz. Und das bist du.«
»Danke«, sagte sie mit brechender Stimme. »Das hilft mir wirklich.« Sie fuhr sich mit den Fingerspitzen unter den Augen entlang und räusperte sich. »Es würde mir allerdings noch mehr helfen, Kimberly mit einem richtig fiesen Messer ins Auge zu stechen, aber …«
Er musste leise lachen. » … aber man kann eben nicht alles haben. Du bist eine furchteinflößende Frau. Das mag ich.«
»Kein Ungeheuer?«, fragte sie verunsichert, und er wurde wieder ernst. Seufzte.
»Daphne, es tut mir leid. Ich war tatsächlich schockiert zu erfahren, dass du Becketts Namen kanntest. Und ich war wütend, dass du so etwas durchmachen musstest. Dass es so viele Abscheulichkeiten in deinem Leben gegeben hat. Und dass es nichts gibt, was ich tun kann, um die Vergangenheit zu ändern. Aber ich habe dich kein einziges Mal für ein Ungeheuer gehalten.«
Ihr Gesicht im Spiegel der Fensterscheibe zeigte das Elend, das sie empfand. »Wie viele Mädchen mag er noch entführt haben?«, flüsterte sie.
»Wie viele es auch sein mögen, du bist dafür nicht verantwortlich.«
»Dann sag das mal den Müttern und Vätern. Sag das mal mir. Er ist sieben Jahre frei rumgelaufen, bevor ich ihn angezeigt habe.«
»Sieben Jahre, die er dich terrorisiert hat.«
»Ich habe immer geglaubt, dass er sich Kelly ausgesucht hatte, weil sie Viviens Tochter war. Dass er gewusst hatte, wann wir von der Schule kommen würden, oder dass Kelly sogar mit ihm verabredet gewesen war. Mir ist kein
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