Todeskind: Thriller (German Edition)
zurechtmachen, und wenn ihr so weitermacht, verschmiert mir noch alles, also leg ich jetzt besser auf. Bis später.«
Sie ließ das Telefon wieder in ihre Tasche fallen und fischte die Wimperntusche erneut heraus. Jetzt war sie ruhig genug. Sie hatte gerade die erste Schicht aufgetragen, als laut quietschend die Tür zum Waschraum geöffnet wurde.
»Daphne?«, flüsterte eine Männerstimme laut.
Sie wurde rot. »Grayson? Sag mir nicht, dass du in der Damentoilette bist.«
»Okay, bin ich nicht. Jedenfalls nicht ganz. Ein Fuß ist noch draußen. Alles okay bei dir?«
»Na sicher, wieso denn nicht?«
»Ähm, weil du dich übergeben hast?«
Sie schloss die Augen. »Du hast das gehört?«
»Es war schwer zu überhören.«
»Gott«, stöhnte sie. »Dieser Tag geht mir langsam richtig auf den Keks.«
»Falls es dich tröstet – sonst hat es keiner mitbekommen. Der ganze Stock hier ist geräumt worden.«
Es tröstete sie tatsächlich etwas. »Ich hatte mich schon gefragt, wieso ich die ganze Zeit allein hier bin. Ich bin gleich fertig.« Sie trug Lippenstift auf und verließ so würdevoll, wie es ihr unter den gegebenen Umständen möglich war, die Toilette. Grayson hielt ihr den Mantel hin.
»Ich dachte mir, dass du vielleicht lieber Welchs Blut verdecken möchtest.«
»Danke«, antwortete Daphne und steckte die Hände durch die Ärmel. »Paige hat mir eine SMS geschickt. Du musst sie sofort anrufen.«
Er zeigte ihr sein Handy, dessen Display zersplittert war. »Cindys Stiefel. Das Ding ist tot. Ich habe Paige schon von einem der Büros aus angerufen. Und meine Mutter ebenfalls, also geh mir damit gar nicht erst auf die Nerven.«
Daphne ging ihm oft damit auf die Nerven, weil sie mit der Frau mitfühlte. Sie blickte auf ihr Handy und runzelte die Stirn. »Ford hat gar nicht versucht, mich zu erreichen.«
»Dann revanchiere ich mich und gehe ihm so lange auf die Nerven, bis er es tut.«
»Brauchst du gar nicht. Er ist nämlich ein guter Sohn.« Auch wenn er, ganz dem Professorenklischee entsprechend, zerstreut und unzugänglich wurde, wenn er an einem Projekt arbeitete. »Wahrscheinlich ist er in irgendein spannendes Laborexperiment versunken und hat darüber die Zeit vergessen.« Sie wählte Fords Nummer, geriet an den Anrufbeantworter und sprach die Bitte auf, sie zurückzurufen, sobald er Zeit hätte.
Grayson drückte auf den Schalter, um den Fahrstuhl zu holen. »Wenn man bedenkt, was alles heute schon durch die Nachrichten gegangen ist, muss es schon ein Wahnsinnsexperiment sein, wenn er darüber vergisst, dich anzurufen.«
»Er wird sich schon melden. Das tut er immer. Irgendwann jedenfalls«, fügte sie mit einem wehmütigen Lächeln hinzu.
»Meine Mutter wäre nicht so großherzig«, stellte Grayson fest.
Eigentlich war Daphne ziemlich glücklich, dass Ford so sehr mit seinem Studium und den Experimenten beschäftigt war, denn es hatte viele Jahre gegeben, in denen er sich die Zeit dazu nicht zugestanden hatte. Weil er für sie Besorgungen gemacht, Essen zubereitet oder die Rechnungen bezahlt hatte, wenn es ihr so schlechtgegangen war, dass sie nicht einmal einen Scheck hatte ausschreiben können.
Er hatte viel zu schnell erwachsen werden müssen, dabei hatte sie ihm genau das immer ersparen wollen. Sie hatte sich eine Kindheit für ihn gewünscht, in der er sich sicher und geborgen fühlen konnte. Sie hatte sich gewünscht, dass er mit Mutter und Vater aufwuchs. Sie selbst konnte sich noch vage daran erinnern, wie es gewesen war, als ihr Vater sie verlassen hatte. Acht war sie damals gewesen, aber die Jahre davor hatte sie in glücklicher Erinnerung.
Die Jahre danach … weniger glücklich. Ihr Vater war verschwunden, ohne sich zu verabschieden. Nicht dass sie es ihm hätte verübeln können. Er war ruiniert gewesen. Verunglimpft. Verleumdet. Es tut mir so leid, Dad. Wo immer du bist. Sie hob das Kinn und spulte ihre Geschichte zurück zu der Stelle, deren Erinnerung sie ertragen konnte. Bevor sie acht gewesen war … waren wir eine glückliche Familie.
Daphne hatte sich die Stabilität, an die sie sich erinnerte, immer für ihren Sohn gewünscht, doch es hatte nicht sein sollen. Ihr Ex-Mann hatte Geld, Status, eine bedeutende Herkunft und eine erstklassige Bildung. Doch Travis Elkhart war ein kalter, selbstsüchtiger Mann, den sein einziger Sohn nicht interessiert hatte.
Genauso wenig wie ich ihn interessiert habe. Daphne, die nach einem von ihrer Seite eher versehentlichen
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