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Todesmarsch

Titel: Todesmarsch Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Stephen King
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Segeltuchplane vom Panzerfahrzeug herunter.
    »Ich hatte einen Onkel, der von den Soldaten geholt wurde«, sagte Wyman zaghaft. Garraty bemerkte, daß die Lasche von Wymans Schuh sich unter dem Schnürsenkel gelöst hatte und bei jedem Schritt obszön auf- und abklappte.
    »Kein Mensch außer einem Idioten läßt sich von den Soldaten erwischen«, sagte Parker laut und vernehmlich.
    Garraty blickte hoch und versuchte, wütend auf Parker zu sein, doch dann senkte er nur den Kopf und sah stumm auf die Straße hinab. Es stimmte, sein Vater war ein Idiot gewesen. Ein Säufer, der keine zwei Cents zusammenhalten konnte, dem alles, was er anpackte, schiefging. Ein Mann, der nicht genug Vernunft hatte, seine politische Meinung für sich zu behalten. Garraty fühlte sich plötzlich alt und krank.
    »Halt dein stinkendes Maul!« wies McVries Parker kühl zurecht.
    »Willst du's mal versuchen, mich dazu zu -«
    »Nein, ich will nicht versuchen, dich dazu zu bringen. Halt einfach die Klappe, du Arschloch!«
    Collie Parker ließ sich zurückfallen, bis er zwischen McVries und Garraty ging. Pearson und Abraham wichen ein Stück zur Seite. Selbst die Soldaten richteten sich in Erwartung von Schwierigkeiten etwas auf. Parker musterte Garraty mit einem langen Blick. Sein breites Gesicht war schweißüberströmt, und die Augen hatten nichts von ihrer Arroganz verloren. Dann klopfte er Garraty kurz auf den Arm.
    »Ich habe manchmal ein lockeres Mundwerk, aber ich mein's nicht so - okay?«
    Garraty nickte müde, und Parker wandte sich McVries zu. »Ich piss' auf dich, Scheißkerl!« zischte er und lief nach vorn, der Vorhut hinterher.
    »Was für ein gemeines Arschloch!« sagte McVries bedrückt.
    »Nicht schlimmer als Barkovitch«, meinte Abraham. »Vielleicht sogar ein bißchen besser.«
    »Und außerdem«, fügte Pearson hinzu, »was heißt es schon, von den Soldaten geholt zu werden? Es ist doch zehnmal besser, als einfach im Bett zu sterben, nicht wahr?«
    »Woher willst du das wissen?« sagte Garraty. »Woher will einer von uns das wissen?«
    Sein Vater war ein rotblonder Riese mit einer dröhnenden Stimme und einem bellenden Lachen gewesen, das in Garra-tys kleinen Ohren immer so geklungen hatte, als würden Berge einstürzen. Nachdem er seinen Sattelschlepper verloren hatte, verdiente er seine Brötchen damit, die Regierungslaster aus Brunswick zu fahren. Es wäre ein guter Lebensunterhalt gewesen, wenn Jim Garraty seine Meinung für sich behalten hätte. Doch wenn man für die Regierung arbeitet, beobachtet sie die Lebensführung doppelt aufmerksam und ist doppelt bereit, die Soldaten loszuschicken, wenn die Dinge im Umfeld nicht ganz sauber zu sein scheinen. Jim Garraty hatte sich nicht besonders für den Marsch begeistern können. Eines Tages hatte er ein Telegramm erhalten, und am Tag darauf erschienen die Soldaten vor der Haustür. Er war mit ihnen gegangen, tobend, und seine Frau hatte die Tür hinter ihm zugeschlagen. Ihr Gesicht war bleich wie eine Wand gewesen, und als Garraty seine Mutter gefragt hatte, wohin Daddy denn mit den Soldaten ginge, hatte sie ihn so hart ins Gesicht geschlagen, daß seine Lippe blutete, und ihn angeschnauzt, er solle den Mund halten. Seitdem hatte er seinen Vater nie wiedergesehen. Er war damals elf Jahre alt gewesen. Eine saubere Beseitigung, geruchlos, keimfrei, pasteurisiert und steril.
    »Mein Bruder ist auch mit dem Gesetz in Konflikt geraten«, erzählte Baker. »Nicht mit der Regierung, nur mit dem Gesetz. Er hatte ein Auto gestohlen und ist damit von unserer Stadt bis nach Hattiesburg, Mississippi, gefahren. Hat zwei Jahre auf Bewährung gekriegt. Inzwischen ist er gestorben.«
    »Gestorben?« Die Stimme knisterte gespenstisch wie ein vertrocknetes Blatt. Olson hatte sich ihnen wieder angeschlossen. Sein verhärmtes Gesicht schien gar nicht mehr zu seinem Körper zu gehören.
    »Herzschlag«, erklärte Baker. »Er war nur drei Jahre älter als ich. Ma sagte immer, er wäre ihr Kreuz, aber er ist nur das eine Mal wirklich in Schwierigkeiten geraten. Ich war schlimmer. Ich bin drei Jahre lang bei den Night Riders gewesen.«
    Garraty blickte überrascht auf. Auf Bakers Gesicht lag eine Art mit Würde vermischte Scham. Er spähte in das dämmrige Sonnenlicht, das durch die grünen Zweige fiel.
    »Das ist ein Vergehen, das von den Soldaten geahndet wird, aber es war mir egal. Ich war erst zwölf, als ich mich dem Geheimbund anschloß. Heutzutage ziehen nur noch die Kinder nachts los. Die

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