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Todesmarsch

Titel: Todesmarsch Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Stephen King
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könnte sterben, dachte er. Ich könnte lachend sterben. Das war' doch was.
    Collie Parker lächelte und winkte und fluchte immer noch auf die Zuschauer und die Reporter, und das war von allem das Komischste. Garraty fiel auf die Knie und wurde wieder verwarnt. Er lachte jetzt in kurzen, heftigen Anfällen, mehr erlaubten seine ausgepumpten Lungen nicht.
    »Er wird sich gleich übergeben!« rief ein Zuschauer begeistert neben ihm. »Sieh mal, Alice, er wird sich gleich übergeben!«
    »Garraty! Um Himmels willen, Garraty!« schrie McVries, legte ihm einen Arm um den Rücken und hakte die andere Hand unter seine Achsel. Es gelang ihm, ihn wieder auf die Füße zu ziehen, und Garraty stolperte vorwärts.
    »Oh, mein Gott«, keuchte er. »Oh, sie machen mich fertig. Ich - ich kann nicht...« Und wieder brach er in hektisches Gekicher aus. Seine Knie knickten ein. McVries zog ihn wieder hoch, wobei Garratys Hemdkragen einriß. Beide wurden verwarnt. Meine letzte Warnung, dachte Garraty benommen. Ich bin auf dem besten Weg, mir die berühmte Farm anzusehen. Tut mir leid, Jan, ich...
    »Na los, du Dummkopf, ich kann dich nicht tragen!« fauchte McVries ihn an.
    »Ich kann nicht mehr«, keuchte er. »Kriege keine Luft mehr. Ich -«
    McVries schlug ihm zweimal kurz hintereinander ins Gesicht, mit der Handfläche auf die rechte, mit dem Rücken auf die linke Wange. Dann ging er weg, ohne sich noch einmal umzublicken.
    Das Lachen war nun vorbei, aber sein Bauch fühlte sich an, als sei er mit Gelee gefüllt, und seine Lungen waren völlig ausgepumpt und schienen sich auch nicht wieder füllen zu wollen. Taumelnd schwankte er über die Straße und bemühte sich, Luft zu holen. Vor seinen Augen tanzten dunkle Flecke und ihm war vage bewußt, daß er sich kurz vor einer Ohnmacht befand. Ein Fuß stolperte über den anderen, er fiel fast, behielt aber doch das Gleichgewicht.
    Wenn ich falle, bin ich tot. Dann stehe ich nie wieder auf.
    Sie beobachteten ihn. Die Menge sah ihm zu. Der Jubel war zu einem unterdrückten, beinahe erotischen Gemurmel abgestorben. Sie warteten nur darauf, daß er fiel. Er ging weiter und konzentrierte sich ausschließlich darauf, einen Fuß vor den anderen zu setzen. In der achten Klasse hatte er einmal eine Kurzgeschichte von einem Mann namens Ray Bradbury gelesen, in der es um die Zuschauermengen ging, die sich stets bei tödlichen Unfällen versammelten. Bradbury hatte darüber geschrieben, daß diese Menge immer dasselbe Gesicht hätte, daß sie immer schon vorher zu wissen schien, ob das Opfer den Unfall überleben würde oder nicht. Ich werde noch ein bißchen länger leben, rief Garraty der Menge im stillen zu. Ich werde leben. Ich werde noch ein bißchen länger leben.
    Er zwang sich, seine Füße im Takt dieser Sätze zu heben, die sich in seinem Kopf bildeten. Alles andere blendete er aus, sogar Jan. Er war sich weder der Hitze bewußt noch Collie Parkers oder Freaky D'Allessios. Er spürte nicht einmal mehr den dumpfen Schmerz in seinen Füßen und die starre Spannung seiner Kniesehnen. Ein einziger Gedanke dröhnte in seinem Gehirn wie eine Kesselpauke: Noch ein bißchen längerleben. Noch ein bißchen länger leben. Noch ein bißchen länger leben. Bis die Worte allmählich bedeutungslos wurden.
    Es waren Gewehrschüsse, die ihn herausrissen.
    In der seltsam gedrückten Stille des Publikums klangen sie schockierend laut. Er hörte jemanden schreien. Jetzt ist alles klar, dachte er. Du hast gerade lange genug gelebt, um die Schüsse noch zu hören, gerade lange genug, um dich selbst schreien zu hören - In dem Augenblick schlug er mit dem Fuß gegen einen großen Stein und spürte den Schmerz. Also war er doch nicht erschossen worden. Nein, es war Nummer 64, ein netter, freundlich lächelnder Junge namens Frank Morgan. Sie schleiften ihn von der Straße. Seine Brille, die sich hartnäckig hinter dem einen Ohr verklemmt hatte, hüpfte über den Asphalt. Das linke Glas war zersplittert.
    »Ich bin nicht tot«, sagte er verwirrt. Ein freudiger Schock überspülte ihn wie eine warme, blaue Welle, so daß seine Knie gleich wieder weich wurden.
    »Ja, aber du solltest es sein«, sagte McVries.
    »Und du hast ihn gerettet!« rief Olson. Es klang wie ein Fluch. »Warum hast du das getan? Warum hast du das getan?« Seine Augen glänzten wie blankgeputzte Türknöpfe. »Wenn ich könnte, würde ich dich umbringen. Ich hasse dich. Du wirst sterben, McVries. Wart's nur ab, Gott wird dich dafür

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