Todesmarsch
bestrafen. Gott wird dich erschlagen, sodaß du mausetot bist!« Seine hohe Stimme überschlug sich. Garraty konnte förmlich riechen, daß er schon das Totenhemd trug.
Er hielt sich eine Hand vor den Mund und stöhnte. Im Grande hatten sie alle schon den Geruch des Todes an sich.
»Ich scheiß' auf dich«, antwortete McVries ruhig. »Ich habe bloß meine Schulden bezahlt, mehr nicht.« Er sah Garraty an. »Jetzt sind wir quitt, Mann. Das ist das Ende, okay?« Damit ging er ohne Eile fort und war bald nur noch eines der bunten Hemden, die sich zwanzig Meter weiter vorn bewegten.
Garraty kam allmählich wieder zu Atem, doch hatte er noch lange Seitenstiche, die nur ganz langsam vergingen, bis sie schließlich auch aufhörten. McVries hatte ihm das Leben gerettet. Er war hysterisch geworden, hatte einen Lachkrampf bekommen, und McVries hatte ihn vor dem Ende bewahrt. Wir sind quitt, Mann. Das ist das Ende, in Ordnung.
»Gott wird ihn bestrafen«, plärrte Hank Olson weiter, als wolle er sich dieser außerirdischen, tödlichen Rechtfertigung selbst versichern. »Gott wird ihn dafür erschlagen.«
»Halts Maul, sonst erschlage ich dich!« fuhr Ahraham ihn an.
Es wurde immer heißer, und überall brachen kleinliche Streitereien aus wie Buschfeuer. Als sie aus der Reichweite der Fernsehkameras und Mikrofone herauskamen, verlief die riesige Menschenmenge sich etwas, aber sie verschwand nicht, ja, sie löste sich nicht einmal in einzelne Gruppen auf. Sie war nun einmal gekommen, und sie blieb. Die Menschen, aus denen sie sich zusammensetzte, verschmolzen zu einem einheitlichen, anonymen Massengesicht, einer gierigen, nichtssagenden Visage, die sich Meile für Meile duplizierte. Sie bevölkerten die Haustreppen, Vorgärten, Auffahrten, Picknickplätze, Tankstellen - wo die Besitzer Eintritt verlangten - und die Bürgersteige und Parkplätze der nächsten Stadt, durch die sie kamen. Sie klatschten und schnatterten und jubelten und blieben sich im wesentlichen immer gleich. Sie verschlangen Wayman förmlich mit den Augen, als er sich hinsetzte, um seinen Darm zu entleeren. Ob Männer, Frauen oder Kinder, das Massengesicht änderte sich nie, und Garraty fand es mit der Zeit langweilig.
Er hätte sich gern bei McVries bedankt, bezweifelte aber, daß er seinen Dank annehmen würde. Er sah ihn vorn direkt hinter Barkovitch gehen und angespannt in dessen Nacken starren.
Es wurde halb zehn und später. Die Menge schien die drückende Hitze noch zu verstärken. Garraty knöpfte sich das Hemd bis zum Hosengürtel auf und fragte sich, ob Freaky D'Allessio wohl vorher geahnt hätte, daß er sterben würde. Aber vermutlich hätte das so oder so nicht viel für ihn verändert.
Die Straße stieg wieder steil an, und die Menge blieb vorübergehend etwas zurück, als sie zu klettern anfingen. Sie liefen über eine Bahnlinie, die von Osten nach Westen führte und deren vier Geleise auf ihrem Schotterbett flimmerten. Oben überquerten sie eine Holzbrücke, und Garraty konnte vor sich den breiten Waldgürtel und zu seiner Rechten und Linken die Vorstadt mit ihren Hochhäusern überblicken, durch die sie gerade marschiert waren.
Ein kühler Windhauch strich über seine verschwitzte Haut und ließ ihn erschauern. Scramm mußte heftig niesen.
»He) ich kriege eine Erkältung«, rief er angewidert.
»Das wird dir den Saft aus den Knochen ziehen«, meinte Pearson. »Das ist eine gemeine Sache.«
»Quatsch! Ich muß einfach härter arbeiten«, entgegnete Scramm.
»Mann, du mußt ja aus Stahl sein«, sagte Pearson. »Ich glaube, wenn ich eine Erkältung bekäme, würde ich mich einfach auf die Seite legen und sterben. So wenig Energie habe ich noch übrig.«
»Dann leg dich auf die Seite und stirb!« brüllte Barkovitch zurück. »Spar dir die Energie!«
»Halts Maul und geh weiter, Killer!« sagte McVries automatisch.
Barkovitch drehte sich zu ihm um. »Geh mir aus dem Rük-ken, Narbengesicht! Lauf woanders, McVries!«
»Das ist eine freie Straße. Ich laufe, wo es mir paßt!«
Barkovitch zog die Nase hoch, spuckte und verfehlte ihn um einiges.
Garraty öffnete eine seiner Konzentrattuben und strich sich Käse auf einen Kräcker. Beim ersten Bissen knurrte sein Magen fürchterlich, und er mußte sich zusammenreißen, nicht alles auf einmal hinunterzuschlingen. Er quetschte eine Tube Roastbeef in seinen Mund aus und schluckte es ganz langsam runter. Dann spülte er mit Wasser nach und beschloß, erst mal wieder aufzuhören.
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