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Todesmelodie

Todesmelodie

Titel: Todesmelodie Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Christopher Pike
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küssen!«
    Er blinzelte, seine Augen waren feucht. »Warum?«
    »Du mußt mir wenigstens einen Abschiedskuß geben!« Sie beugte sich vor, als ob sie ihn wirklich küssen wollte, hob gleichzeitig die linke Hand ein Stück an, der Kerze entgegen, und schob ihre Rechte näher an das Messer in seinem Gürtel heran. »Weil ich dich töten werde!«
    Die Worte waren kaum über ihre Lippen, als sie angriff. Der Griff nach der Kerze war kein Problem, sie umschloß sie fest mit der Hand. Die rasche Bewegung ließ beinahe die Flamme ausgehen, und etwas Wachs tropfte zwischen Anns Daumen und Zeigefinger.
    Chad konnte ihre Gedanken nicht lesen – ihr Angriff kam für ihn vollkommen überraschend. Er starrte die Flamme sogar dann noch verständnislos an, als sie sie in seine Richtung schleuderte, und er blinzelte, bevor das heiße Wachs seine Augen traf.
    Die Kerze ging aus, wie Ann es vorausgesehen hatte, und plötzlich herrschte vollkommene Dunkelheit. Doch sie brauchte auch kein Licht, um Chad aufschreien zu hören. Er hob beide Hände an die Augen – Ann nahm die Bewegung instinktiv wahr –, und sie tastete nach dem Messer. Doch jetzt stellte sich ein Problem: Ihr Wille konnte den heißen Schmerz, der ihren Ellenbogen durchfuhr, nicht überwinden. Auch sie schrie laut auf, aber sie war entschlossen, sich nicht von ihrem Vorhaben abhalten zu lassen.
    Sie drehte sich ein wenig zur Seite und rammte Chad mit voller Kraft ihren Kopf ins Gesicht.
    Es fühlte sich an, als hätte sie ihn von vorn an der Nase erwischt. Er fiel hintenüber, und sie stürzte sich auf ihn, wobei sie ihn mit den Knien festhielt. Ann verschwendete keine Zeit auf einen neuen Versuch, ihn zu treffen, denn jetzt war es entscheidend, an das Messer zu gelangen. Sie mußte ihn nur ein einziges Mal an einer verwundbaren Stelle erwischen, und der ganze Alptraum hatte ein Ende.
    Sie brauchte einige kostbare Sekunden, um das Messer zu ertasten, und bis dahin hatte Chad sich so weit erholt, daß er es schaffte, ihr einen kräftigen Faustschlag unters Kinn zu versetzen. Er wog sicher keine zehn Pfund mehr als sie, aber er war stark – teuflisch stark!
    Der Schlag wirbelte Anns Gedanken durcheinander und warf ihren Kopf zurück, aber glücklicherweise fand ihre linke Hand genau in diesem Moment das Messer und schloß sich um seinen Griff. Mehr aus Instinkt als aus bewußtem Entschluß nahm Ann das Messer aus dem Gürtel und zog es in langem Bogen über Chads Bauch.
    Sie hatte ihn noch am Nachmittag dabei beobachtet, wie er es schärfte, als die Gruppe am Fluß eine Pause gemacht hatte. Er sorgte dafür, daß die Klinge immer rasiermesserscharf war, in dieser Hinsicht hatte Ann Glück. Außerdem hatte sich während ihres Kampfes seine Jacke vorn geöffnet, so daß sein Bauch ein leichtes Ziel bot.
    Wenn sie nur etwas mehr Kraft hätte aufbringen können, hätte sie ihn in diesem Augenblick und an dieser Stelle tödlich verwundet. So aber fügte sie ihm immerhin starken Schmerz zu. Der Schrei, den er ausstieß, als sie mit dem Messer über seinen Bauch fuhr, machte ihren Kopf frei und hallte in ihren Ohren wider, so laut war er.
    »Ann!« schrie Chad, und seine Arme fielen kraftlos zur Seite.
    Ann drehte das Messer in ihrer linken Hand, bis die Klinge steil nach unten gerichtet war. Jetzt mußte sie es nur noch mitten in seine Brust stoßen und sein Herz treffen. Er würde bluten wie Jerry, sogar noch mehr, das war seine Strafe.
    Nein, es war Rache!
    Sie hätte es wollen müssen – hätte ihre blutige Rache genießen müssen. Und noch eine halbe Stunde zuvor hätte sie es auch getan, direkt nachdem sie erfahren hatte, was sie jetzt wußte. Aber etwas in ihr hatte sich verändert, seit sie begriffen hatte, daß ihr Haß auf Sharon grundlos gewesen war. Als ob etwas in ihr schwach geworden wäre – oder weise.
    Es gibt keinen Grund zu hassen…
    Ann erkannte, daß sie Chad nicht töten konnte. Sie hatte ihn zu lange gekannt, und er war ihr Freund gewesen. Doch das hieß nicht, daß sie sich einfach so von ihm umbringen lassen würde, dazu besaß sie noch genug gesunden Menschenverstand, und es ging immerhin um ihr Leben.
    Chad war verwundet und sie hatte das Messer – eigentlich mußte das reichen, damit sie entkommen konnte. Sie sprang auf und ließ ihn auf dem Boden der Höhle liegen, und in diesem Moment beschloß sie, ihn noch ein letztes Mal zu demütigen, um ihm heimzuzahlen, was er in ihrem Leben angerichtet hatte. Sie trat ihn mit aller Kraft in die Seite,

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