Todesnacht - Booth, S: Todesnacht - Scared to Live
schließlich nur in Verlegenheit gebracht hatte. Nein, sie hatte sich ihretwegen geschämt – und deshalb auch ein bisschen schuldig gefühlt.
Das Caesar’s war das einzige Lokal gewesen, das ihr spontan eingefallen war, um Sergeant Kotsev auszuführen. Aus unerfindlichen Gründen hatte sie das Bedürfnis verspürt, ihm einen guten Eindruck von Edendale zu vermitteln. Als ob das irgendeine Rolle spielte – für ihn oder für sie. Sie waren beide Fremde auf der Durchreise, nur dass Kotsev etwas früher wieder weg sein würde.
Obwohl es eigentlich ein italienisches Restaurant war, hatte Fry den Verdacht, dass es sich bei den Kellnern um Osteuropäer handelte. Nach den Wortwechseln zu schließen, die sie gelegentlich hörte, galt für das Küchenpersonal vermutlich dasselbe. Als sie das Restaurant ausgewählt und den Tisch reserviert
hatte, war ihr das überhaupt nicht bewusst gewesen. Doch jetzt fragte sie sich, ob sie dabei insgeheim gedacht hatte, dafür sorgen zu müssen, dass Kotsev sich wohler fühlte, indem sie ihm ein kleines Stück Osteuropa in dieser seltsamen fremden Stadt präsentierte.
Als sie dann jedoch das Restaurant betreten hatten, hatte ihr der Gedanke, dass er sich stattdessen vielleicht sogar gekränkt fühlen könnte, kurzzeitig Panik eingeflößt. Der Kellner, der sie beim letzten Mal bedient hatte, hätte durchaus Albaner gewesen sein können. Auf dem Balkan herrschten eine Menge alter territorialer Streitigkeiten und ethnischer Konflikte. Waren Bulgaren und Albaner nicht seit langem verfeindet? Würde Kotsev sich vielleicht weigern, sich von einem albanischen Kellner bedienen zu lassen, und eine schreckliche Szene machen?
Oh, Gott. Und dabei hatte sie doch nur jemandem das Leben ein wenig erleichtern wollen. Das würde ihr eine Lehre sein, sich zukünftig aus dem Leben anderer Menschen herauszuhalten.
Doch Kotsev benahm sich tadellos. Und sie war erleichtert, dass sie ein vornehmes Lokal gewählt hatte, da sich ihr Gast für den Abend in Schale geworfen hatte. Sie war froh, dass sie sich selbst ebenfalls ein bisschen Mühe gegeben hatte. Wenn sie es sich recht überlegte, konnte es durchaus sein, dass sie damals, als sie mit Angie hier gewesen war, denselben Cord-Blazer und dasselbe handgestrickte Oberteil aus Alpakawolle getragen hatte wie heute. Sie hatte nicht oft die Gelegenheit, diese Sachen anzuziehen, und sonst hatte sie nichts in ihrer Garderobe als passend empfunden.
Kotsev warf einen Blick in die Speisekarte. »Können Sie irgendetwas empfehlen?«
»Die eingemachte Ente ist ausgezeichnet«, sagte sie, da sie bisher noch nichts anderes hier gegessen hatte.
»Ich glaube, ich nehme ein Steak«, sagte er.
Fry fragte sich, ob er ihre Unkenntnis wirklich so mühelos durchschaut hatte.
»Was trinkt man denn in Bulgarien normalerweise?«
»Unser Nationalgetränk ist rakia – Weinbrand. Oder Wein. Kennt man hier in diesem Land bulgarischen Rotwein?«
»Ja, selbstverständlich.«
»Unser Weißwein ist ebenfalls köstlich. Aber in der bulgarischen Folklore gibt es eine Menge Lieder über Rotwein und nur eines über Weißwein, und das geht so: ›Oh, Weißwein, warum bist du nicht rot?‹«
Fry lachte. »Sie sagten, Sie sind in einem Dorf zur Welt gekommen. Dann stammen Ihre Eltern also vom Land, Sergeant Kotsev?«
»Bitte nennen Sie mich Georgi.«
»Ich heiße Diane.«
»Ja, ich weiß.«
Aus der Nähe betrachtet hatten Kotsevs braune Augen einen ziemlich traurigen Ausdruck. Die dunklen Haare an seinen Handgelenken lockten sich um das Armband einer goldenen Uhr, und seine Hemdsmanschetten waren weiß und steif. Was er anhatte, war ganz sicher nicht so aus dem Koffer gekommen. Fry konnte ihn sich vorstellen, wie er im Hotelzimmer seine Hemden bügelte. Nicht viele Männer konnten mit einem Bügeleisen richtig umgehen, doch sie hätte wetten können, dass Kotsev es sehr gut konnte.
»Wissen Sie, in meiner Familie gab es in der Vergangenheit die unterschiedlichsten Leute«, sagte er. »Doch die meisten waren Schäfer und Ziegenhirten. Mit anderen Worten, Bauern. Manchmal kamen Männer aus der Stadt zu uns ins Dorf.Wenn sie lange Ledermäntel trugen und Schnurrbärte hatten, wussten wir, dass sie von der Polizei, von der Bezirksverwaltung oder von der Partei waren. Sie verkörperten das Gesetz. Ein Wort von ihnen hätte unser Leben verändern können. Es muss schwierig für Sie sein, zu verstehen, wie wir gelebt haben.«
Kotsevs Englisch war doch nicht ganz makellos. Langsam
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