Todesnacht - Booth, S: Todesnacht - Scared to Live
Nachmittag um Viertel nach eins ein Streifenwagen vor dem Tor von Bain House an. Exakt um dreizehn Uhr sechzehn, dem Ereignisprotokoll zufolge. Police Constable Andy Myers drückte mehrmals auf den Klingelknopf der Sprechanlage am Torpfosten, erhielt jedoch keine Antwort.
»Vielleicht funktioniert die Klingel nicht«, sagte sein Kollege.
»Ich höre sie aber summen.«
»Tja, die Zentrale kann uns keine Telefonnummer von ihr geben.«
»Dann steht sie nicht im Telefonbuch.«
»Und was machen wir jetzt?«
Myers warf einen Blick auf das schmiedeeiserne Tor und die Steinsäulen auf beiden Seiten. »Einer von uns beiden muss seinen Hintern über das Tor schwingen. Auf der anderen Seite gibt es bestimmt eine Entriegelung. Pass auf die Zacken
auf, wenn du drübersteigst, Phil. Die sehen gemeingefährlich aus.«
»Oh, vielen Dank. Streng dich bloß nicht zu sehr an, ja?«
»Ich bin schließlich der Fahrer. Ich muss beim Wagen bleiben.«
Myers sah seinem Kollegen zu, als dieser mühsam über das Tor kletterte und schimpfend versuchte zu vermeiden, sich seine Uniform zu zerreißen oder sich die Hand an einer der Zacken aufzuspießen. Schließlich landeten seine Stiefel knirschend auf dem Kies auf der anderen Seite, und er fand die Entriegelung, mit der sich das Tor öffnen ließ.
»Der Typ, der angerufen hat, war ein Farmer namens Cross«, sagte Myers vom Fenster des Wagens aus. »Er behauptet, dass irgendwo auf der Rückseite des Hauses ein Fenster offen steht und das Licht brennt.«
»Warum ist er dann nicht über das verdammte Tor geklettert?«
»Der Farmer? Der ist bestimmt längst weg und pflügt seine Schafe oder so.«
»Du kommst nicht oft aufs Land, was, Andy?«
Die beiden Polizisten gingen zur Eingangstür und klopften. Wieder keine Antwort. Myers ging seitlich ums Haus.
»Ja, ich sehe das offene Fenster«, rief er. »Ich versuch’s mal mit der Hintertür.«
»Und?«
»Nichts.«
»Hier auch nichts. Meinst du, wir sollten einfach reingehen?«
»Das offene Fenster gefällt mir nicht«, sagte Myers. »Es gibt eine Alarmanlage – man sieht den Kasten da oben an der Wand. Und Sicherheitsbeleuchtung gibt’s auch. Sie ist keine von diesen achtlosen Hausbesitzern, die ihr Zuhause ungesichert verlassen.«
»Ich sage in der Zentrale Bescheid, was wir machen.«
»Okay, Phil. Dann musst du dir ein Fenster im Erdgeschoss suchen, um einzusteigen. Ich glaube nicht, dass du große Chancen hast, an das offene zu gelangen.«
»Hey, Moment mal...«
Als Fry und Murfin in der Darwin Street eintrafen, stand ein Mann im Garten von Hausnummer 34. Offenbar hatte er sich selbst zu einer Art Aufseher ernannt, der darauf achtete, dass alle am Schauplatz des Brandes ihren Job ordentlich erledigten. Er hielt eine kleine Digitalkamera in der Hand und blickte durch den Sucher auf einen Spurensicherer im Schutzanzug, der zwei prall gefüllte Plastiksäcke zum Kleintransporter trug.
»Hoffen Sie, Fotos an die Presse verkaufen zu können, Sir?«, erkundigte sich Fry.
Er sah sie finster an. »Schön wär’s. Die waren alle schon hier und haben selber Fotos geschossen und mit Fernsehkameras gefilmt. Die hier sind für meine Akten.«
»Akten?«
»Ich bin bei der Nachbarschaftswache. Das wird ein Thema der nächsten Versammlung, darauf können Sie wetten. Ich war von Anfang an hier, wissen Sie. Ich war nämlich derjenige, der den Notruf getätigt hat.«
»Dann sind Sie Mr. Wade?«
»Der bin ich: Keith Wade.«
Der Mann war entweder übergewichtig oder in so viele Pullover eingepackt, dass seine Formen nicht mehr zu erkennen waren. Er schwitzte ein wenig, doch Fry konnte nicht beurteilen, ob das auf Anstrengung oder Aufregung zurückzuführen war. Keith Wade sah aus wie jemand, der sein ganzes Leben auf dem Fahrersitz eines Lastwagens verbracht hatte, Rühreier und Pommes frites an Raststätten gegessen hatte und im Lauf der Zeit birnenförmig geworden war.
»Haben Sie zufällig Fotos während des Brandes gemacht, Sir?«, fragte sie.
»Natürlich habe ich das. Sehen Sie...«
Er drehte den Fotoapparat um, hielt ihn hoch und fummelte an den Knöpfen herum. Auf dem Display erschien ein Bild. Es war sehr dunkel, beinahe schwarz, bis auf ein schwaches rötliches Leuchten. Nur die unscharfen Umrisse eines Daches und eines Schornsteins waren am oberen Rand des Bildes auszumachen.
»Sind alle Aufnahmen so?«
»Ich habe die Entwicklung des Brandes fotografiert und dokumentiert, wie schnell die Notdienste gekommen sind.
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