Todesnacht: Thriller (German Edition)

Teddy vom Boden aufhob und ihrer Mutter, die sich zum Fenster hinausbeugte, einen letzten Blick zuwarf.
    » Lauf! « , flüsterte Donelda so laut, wie sie es wagte.
    Tabitha winkte ihrer Mutter unsicher zu. Dann rannte sie los.
    Donelda holte die Laken ein, warf sie auf den Fußboden, schlüpfte so leise wie möglich zur Tür hinaus und zog sie hinter sich ins Schloss.
    Am Fuß der Treppe stand ein Mann. Donelda trat an den oberen Absatz. Sie war wild entschlossen, ihrer Tochter so viel Vorsprung zu verschaffen, wie sie nur konnte.
    » Wo ist das Kind? « , blaffte der Mann und richtete Pikes Pistole auf sie.
    Donelda sagte nichts, sondern stieg zur Verblüffung des Mannes wortlos die Treppe herunter. Langsam. Stufe für Stufe.
    » Wo ist das Kind? « , wiederholte der Mann.
    » Was wollen Sie von ihr? « , erwiderte Donelda. Sie wunderte sich selbst, wie ruhig ihre Stimme klang. Zumindest kam es ihr so vor – und das, obwohl ihr Herz so laut schlug, dass sie es beinahe hören konnte. Je länger der Mann mit ihr redete, sagte sie sich, umso besser.
    Sie machte noch ein paar Schritte. Der Mann wich ein kleines Stück zurück. Er wollte nicht, dass sie ihm zu nahe kam.
    » Sie ist doch noch ein Kind. Sie kann Ihnen doch überhaupt nicht gefährlich werden « , sagte Donelda. » Lassen Sie sie in Ruhe. «
    » Sie hat etwas, das mir gehört « , sagte der Mann. » Wo ist sie? Sagen Sie’s mir, sofort, sonst erschieße ich Sie auf der Stelle. «
    » Sie erschießen mich doch sowieso. Genau wie Pike. « Sie warf einen Blick auf die zusammengesunkene Gestalt im Rollstuhl. » Ist er tot? «
    » Ja. Er ist tot. Selbstmord. «
    Donelda schnaubte. » Damit haben Sie ihm sogar einen Gefallen getan. Er war ohnehin dabei, sich umzubringen. Die Kugel war einfach nur schneller als der Schnaps. «
    Es war eigenartig, aber sie empfand überhaupt keine Angst. Nur Hass auf diesen Mann, der da vor ihr stand.
    » Ein letztes Mal « , sagte er. » Wo ist das Kind? Wenn sie mir gibt, was ich haben will, dann lasse ich sie in Ruhe. Und Sie auch. «
    Lügner, dachte Donelda. Sie sah dem Killer in die Augen. » Sie ist nicht hier « , sagte sie. » Wir haben sie weggeschickt. «
    » Wohin? «
    » Sie schläft bei einer Freundin « , sagte Donelda. » Damit sie auf andere Gedanken kommt, nach allem, was Sie ihrer Schwester angetan haben. «
    » Bei welche Freundin? «
    Welche Freundin? Donelda suchte krampfhaft nach einem Namen.
    » Sie ist bei den Bouchers « , sagte sie schließlich. » Frank und Alma Boucher. Sie wohnen beim Flughafen. « Bouchers Haus – falls er es überhaupt wagte – lag über fünf Kilometer entfernt. So würde der Abstand zwischen Tabitha und ihrem so gut wie sicheren Tod noch ein wenig größer werden. » Dort übernachtet sie. Frank ist der Polizeichef von Eastport. «
    Sie sah einen Hauch von Zweifel in Conor Riordans Augen aufblitzen.
    Donelda machte einen Schritt auf ihn zu, und er wich erneut zurück. Ins Wohnzimmer. Sie ging ihm nach. Er stellte sich direkt hinter Pikes Rollstuhl.
    Als Donelda nur noch ein wenig mehr als einen Meter entfernt war, richtete er die Waffe direkt auf ihr Gesicht. Sie machte einen weiteren Schritt vorwärts. Er drückte ab.

38
    Noch bevor der Chief weitere Fragen stellen konnte, legte Maggie auf, zog sich etwas über und rannte nach unten zu ihrem Auto. Sie wusste nicht, weshalb Tabitha Stoddard sie angerufen hatte. Aber was immer der Anlass gewesen sein mochte, es konnte nichts Gutes sein. Sie fuhr rückwärts auf die Straße und trat das Gaspedal bis zum Anschlag durch.
    Conor Riordan sah sich um und musste unwillkürlich lächeln. Besser hätte es beim besten Willen nicht laufen können. Schmauchspuren an Pikes Händen und an seiner Schläfe. Der tödliche Schuss auf Donelda war aus Pikes Höhe abgegeben worden. Der Winkel des Schusskanals, die Lage des Leichnams, die Blutspritzer auf dem Boden und an der Wand – alles schien ganz genau zu passen. Das Einzige, womit er nicht gerechnet hatte, war das fehlende Kind.
    Maggie wählte von unterwegs Sean Carrolls Nummer, landete jedoch sofort auf der Mailbox. Sie versuchte es noch einmal. Gleiches Ergebnis. Sie hinterließ ihm eine Nachricht und bat ihn, so schnell wie möglich zurückzurufen, dann steckte sie das Handy wieder ein. Um nichts auf der Welt würde sie Emmett Ganzer anrufen.
    Riordan wich dem Blut der Frau sorgfältig aus und ging die Treppe hinauf. Er fand Tabithas Zimmer, machte die Tür auf, schaltete das Licht ein