Todesreigen
das Sofa.
»Du stehst auf, wenn ich es dir sage«, erklärte er fröhlich und lächelte auf sie hinunter. »Frohe Weihnachten, Susan. Es ist schön, dich wiederzusehen.«
Sie schaute zur Tür.
»Denk nicht mal daran.« Er öffnete den Sekt, füllte zwei Gläser und bot ihr eines an. Sie schüttelte den Kopf. »Nimm es!«
»Bitte, Anthony, lass…«
»Nimm das verdammte Glas«, zischte er.
Susan gehorchte mit heftig zitternder Hand. Als sie anstießen, wurde sie von Erinnerungen an die Zeit ihrer Ehe überflutet: an seinen Sarkasmus, seine Wut. Und natürlich an die Schläge.
Oh, er war ziemlich clever gewesen. Niemals schlug er sie vor anderen Leuten. Besonders vorsichtig war er in Carlys Nähe. Ganz der typische Psychopath, der er war, gab Anthony Dalton den idealen Vater für seine Tochter ab. Und nach außen hin den idealen Ehemann.
Niemand wusste, woher ihre Blutergüsse, Schnittwunden und gebrochenen Finger stammten…
»Mommy ist so ungeschickt«, erklärte Susan der kleinen Carly und hielt dabei die Tränen zurück. »Ich bin schon wieder die Treppe runtergefallen.«
Sie hatte es vor langer Zeit aufgegeben, verstehen zu wollen, was Anthony antrieb. Eine schlimme Kindheit, eine Funktionsstörung im Gehirn? Sie wusste es nicht, und nach einem Jahr Ehe war es ihr auch egal. Ihr einziges Ziel bestand darin, von ihm wegzukommen. Doch sie hatte zu viel Angst gehabt, um zur Polizei zu gehen. Schließlich hatte sie sich verzweifelt an ihren Vater gewandt. Der kräftige Mann besaß mehrere Baufirmen in New York und verfügte über »Verbindungen«. Sie hatte ihm gebeichtet, was passiert war, und ihr Vater hatte sich des Problems angenommen. Er sorgte dafür, dass zwei Geschäftsfreunde aus Brooklyn, bewaffnet mit Baseballschlägern und einer Pistole, Anthony einen Besuch abstatteten. Die Drohungen und ein Haufen Geld hatten ihr die Freiheit von dem Mann eingebracht, der widerstrebend in die Scheidung eingewilligt, auf das Sorgerecht für Carly verzichtet und versprochen hatte, Susan nie wieder etwas anzutun.
Eine Welle der Angst durchströmte ihren Körper, als ihr klar wurde, warum er heute Abend hier war. Ihr Vater war im letzten Frühjahr gestorben.
Sie hatte keinen Beschützer mehr.
»Ich liebe Weihnachten, und du?«, sinnierte Anthony Dalton und nippte an seinem Sekt.
»Was willst du?«, fragte sie mit zitternder Stimme.
»Von dieser Musik kann ich nie genug bekommen.« Er trat an die Stereoanlage und schaltete sie ein. Im Radio lief
Stille Nacht
. »Wusstest du, dass es beim allerersten Mal auf der Gitarre gespielt wurde? Weil die Kirchenorgel kaputt war.«
»Bitte, geh einfach.«
»Diese Musik… Ich mag auch die Dekoration.«
Sie wollte sich erheben, doch er war schnell bei ihr und schlug sie erneut. »Setz dich«, flüsterte er und jagte ihr damit einen größeren Schrecken ein, als wenn er geschrien hätte.
Tränen traten ihr in die Augen. Mit der Hand tastete sie über ihre brennende Wange.
Ein jungenhaftes Lachen: »Und Geschenke! Wir alle lieben Geschenke… Willst du nicht nachsehen, was ich dir mitgebracht habe?«
»Wir werden nicht wieder zusammenkommen, Anthony. Ich will dich nicht mehr in meinem Leben haben.«
»Warum sollte ich jemanden wie
dich
in meinem Leben wollen? Was für ein Ego…« Ein Lächeln andeutend, musterten seine ruhigen blauen Augen sie von oben bis unten. Auch daran erinnerte sie sich – wie ruhig er sein konnte. Manchmal sogar, während er sie schlug.
»Anthony, bis jetzt ist nichts passiert, niemand ist verletzt.«
»Schsch.«
Ohne dass er es sah, ließ sie die Hand in ihre Jackentasche gleiten, in die sie ihr Handy gesteckt hatte. Nach dem Durcheinander mit Carly hatte sie es wieder eingeschaltet. Allerdings glaubte sie nicht, ohne hinzusehen 9-1-1 wählen zu können. Immerhin fand ihr Finger die Sendetaste. Indem sie zwei Mal darauf drückte, würde das Telefon noch einmal die letzte Nummer wählen. Die von Rich Musgrave. Sie hoffte, dass sein Telefon noch eingeschaltet war und dass er hören würde, was hier vor sich ging. Dann würde er die Polizei anrufen. Oder vielleicht selbst zum Haus zurückkommen. Anthony würde es nicht wagen, sie in Gegenwart eines Zeugen zu schlagen – und Rich war ein hochgewachsener und sehr kräftig wirkender Mann. Er brachte bestimmt fünfzig Pfund mehr auf die Waage als ihr Exmann.
Sie drückte auf die Taste. Kurz darauf sagte sie: »Du machst mir Angst, Anthony. Geh bitte!«
»Ich mache dir Angst?«
»Ich werde die
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