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Todesreigen

Titel: Todesreigen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jeffery Deaver
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Mitternacht oder ein Uhr vorbeigleiten.
    Manko schob das Geschirr vom Abendessen beiseite und goss uns noch einen Kaffee ein.
    »Der wird mich die ganze Nacht wach halten«, protestierte ich milde.
    Er lachte nur und fragte, ob ich noch ein Stück Kuchen wolle.
    Als ich ablehnte, ergriff er die Kaffeetasse. »Meine Allison. Lass uns auf sie trinken.«
    Die Ränder unserer Tassen berührten sich mit einem leisen Klirren.
    Ich sagte: »Hey, Mr. M., du wolltest mir doch noch von dem Ärger erzählen. Mit ihrem Vater, du weißt schon.«
    »Dieses Arschloch«, begann er verächtlich. »Du weißt doch, was passiert ist.«
    »Nicht die ganze Geschichte.«
    »Ehrlich nicht?« In einer dramatischen Geste hob er die Hand und heulte in gespieltem Entsetzen auf. »Dann hat Manko wohl versagt.«
    Er beugte sich vor, und sein Lächeln war auf einmal verschwunden. Mit festem Griff packte er meinen Arm. »Das ist keine hübsche Geschichte, Frankieboy. Nichts aus
Familienbande
oder
Roseanne
. Kannst du so was vertragen?«
    Auch ich beugte mich vor, genau so dramatisch, und brummte: »Versuch es doch.«
    Manko lachte und machte es sich auf seinem Stuhl bequem. Als er die Tasse nahm, wackelte der Tisch. Das hatte er schon während des Essens getan, aber Manko schien es erst jetzt zu bemerken. In aller Ruhe faltete er ein Stück Zeitungspapier und schob es unter das kürzere Tischbein, um es zu stabilisieren. Dabei ging er äußerst sorgfältig vor. Ich beobachtete seine Konzentration, seine kräftigen Hände. Manko war ein Mensch, dem es tatsächlich Spaß machte, zu trainieren – Gewichte zu heben, in seinem Fall –, und ich war beeindruckt von seinen Muskeln. Er war knapp einssiebzig, und auch wenn es für Männer – für mich jedenfalls – schwierig ist, das Aussehen anderer Männer einzuschätzen, so hätte ich ihn doch als gut aussehend bezeichnet.
    Der einzige Aspekt seiner äußeren Erscheinung, der ein wenig aus der Reihe fiel, war sein Haarschnitt. Als seine Zeit bei den Marines abgelaufen war, hatte er den unattraktiven Bürstenschnitt beibehalten. Daraus schloss ich, dass seine Erfahrungen in der Armee zu den Höhepunkten seines Lebens gehörten – später hatte er in der Fabrik und in mittelmäßigen Verkäuferjobs gearbeitet – und dass sein geschorener Kopf ihn an eine bessere, vielleicht auch einfachere Zeit erinnerte.
    Natürlich war das meine populärpsychologische Einschätzung der Situation. Vielleicht mochte er auch einfach kurze Haare.
    Manko war fertig mit dem Tisch und streckte die kräftigen, kompakten Beine von sich. Jetzt war der Geschichtenerzähler dran. Auch das war ein Hinweis auf Mankos Persönlichkeit: Obwohl er meines Wissens nie im Leben auf einer Bühne gestanden hatte, war er der geborene Schauspieler.
    »Also. Kennst du Hillborne? Die Stadt?«
    Ich verneinte.
    »Im südlichen Teil von Ohio. Liegt an einem Fluss mit Pisswasser. Champion hat dort mal eine Mühle betrieben. Es gibt immer noch ein paar Fabriken, die, ich weiß nicht, Radiatoren und solche Sachen herstellen. Und eine große Druckerei, die Aufträge aus Cleveland und Chicago übernimmt. Kroeger Brothers. Als ich in Seattle war, hab ich Drucken gelernt. Miehle Offset-Maschinen. Vier- und Fünffarbdruck, weißt du. So groß wie ein Haus. Ich hab mich schnell damit ausgekannt. Konnte ein Magazin mit Rückendrahtheftung ganz allein drucken, sogar mit Beilagen, jawohl. Perfekte Passer und keine einzige verdammte Heftklammer in den Titten der Centerfolds… Jawohl, Manko war ein Spitzendrucker. Jedenfalls bin ich damals per Anhalter durchs Land gereist. Irgendwie hat’s mich nach Hillborne verschlagen, und ich hab einen Job bei Kroeger bekommen. Ich hab am Anlegapparat angefangen, was ein Scheißjob war, aber dreizehn pro Stunde gebracht hat. Ich dachte, ich würde mich hocharbeiten.
    Eines Tages hatte ich einen Unfall. Hast du je gesehen, wie Hochglanzpapier durch eine Druckerpresse gepeitscht wird? Ratsch, ratsch, ratsch. Wie eine Rasierklinge. Hat mir den Arm aufgeschnitten. Hier.« Er deutete auf eine ziemlich übel aussehende Narbe. »So schlimm, dass ich ins Krankenhaus gebracht wurde. Da bekam ich eine Tetanusspritze und wurde genäht. Keine große Sache. Manko hat nicht gejammert. Dann ging der Doktor, und eine Schwesternhelferin kam dazu, die mir erklärte, wie ich die Wunde waschen sollte, und die mir ein paar Bandagen mitgab.«
    »Das war Allison?«
    »Jawohl.« Er hielt inne und schaute aus dem Fenster in den bewölkten

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