Todesreim : Hachenberg und Reiser ermitteln (German Edition)
alten Mann, der verwirrt und unsicher auf den Boden starrte.
„Habt ihr mal einen Hocker oder einen Stuhl!“, rief Simon laut und jemand brachte ihm eine kleine Trittleiter, auf der sich der Alte dankbar niederließ.
„Guten Abend, Herr Pütz, mein Name ist Simon Hachenberg, ich bin Hauptkommissar. Das hier ist mein Kollege Oberkommissar Reiser. Können wir Ihnen ein paar Fragen stellen?“
Simon hatte unbewusst seine Stimme erhoben, zwangsläufig davon ausgehend, dass die Hörfähigkeit seines Gegenübers nicht mehr hundertprozentig funktionierte.
„Sie müssen mir helfen, Herr Kommissar!“ Runzelige Finger legten sich auf Simons Hand. „Sie haben mir mein Haus gestohlen, bitte helfen Sie mir doch, bitte. Sehen Sie dort drüben“, er zeigte mit seinem Stock in die Richtung der naheliegenden Häuser, „dort liegt mein Häuschen, sie wollen es abreißen. Mein Häuschen.“
„Beruhigen Sie sich, Herr Pütz, Sie können uns später alles über Ihr Haus erzählen, bitte beantworten Sie jetzt unsere Fragen. Sie haben den toten jungen Mann gefunden?“
„Wir müssen uns ja wehren, verstehen Sie, Herr Hauptkommissar, sie nehmen uns ja alles weg, unsere Häuser, unsere Erinnerungen, alles nehmen sie uns weg.“
Karl Pütz ballte seine Hand zur Faust und hob sie kämpferisch in die Luft. Auch wenn sich der alte Mann bemühte, Stärke und Zielstrebigkeit zu zeigen, so wirkte diese Geste aufgrund seines Alters und seiner gebrechlichen Statur kläglich und bedauernswert.
„Herr Pütz, bitte erzählen Sie uns jetzt genau, was Sie hier im Wald gemacht haben, und versuchen Sie sich bitte zu konzentrieren, denn es ist wirklich von höchster Wichtigkeit. Wir verstehen ja, dass Sie wegen Ihres Häuschens aufgebracht sind, aber jetzt geht es um Mord. Können Sie uns helfen, Herr Pütz?“ Simon versuchte ruhig zu bleiben.
„Unsere Häuser und jetzt auch unseren Wald, sie wollen alles und jetzt haben sie auch noch Chris ermordet. Nur weil er uns helfen wollte … Mörder, sie sind Mörder!“ Karl Pütz schluchzte. Simon und Reiser schauten sich erwartungsvoll an.
„Herr Pütz, wen meinen Sie damit?“
Doch Karl Pütz konnte nicht mehr antworten. Überwältigt von Weinkrämpfen zuckte sein zerbrechlicher Körper unkontrolliert und sie erkannten, dass ihnen der alte Mann heute bedauerlicherweise nicht mehr weiterhelfen konnte.
D er Regen hatte sich für diesen Tag wohl endgültig verabschiedet. Warmer abendlicher Sonnenschein erwärmte die Luft und erweckte die Hoffnung auf ein Wiederkehren des Sommers.
Auf jeden Regen folgt Sonnenschein – das war der Lieblingsspruch seiner Mutter gewesen. Besonders in jener Zeit, als Catherine ihn verlassen hatte, liebte sie es, ihn mit Zitaten oder Sprichwörtern aufzumuntern. Jetzt war er auf dem Weg zu einer anderen Mutter, einer Mutter, die in wenigen Minuten erfahren würde, dass für sie lange Zeit keine Sonne mehr erstrahlen würde, deren Sohn auf furchtbare Weise ermordet und dessen Leiche in diesen Minuten in die Gerichtsmedizin nach Köln gefahren wurde. In solchen Momenten hasste er seinen Beruf.
„Dort drüben.“ Reisers Stimme durchbrach die bedrückende Stille, die während der kurzen Autofahrt vom Tatort bis jetzt zwischen ihnen geherrscht hatte. Er zeigte auf ein hinter mehreren großen Tannen verstecktes zweigeschossiges Wohnhaus, direkt gelegen an der verkehrsreichsten Straße zwischen Engelshof und Heiligenburg.
„Ich werde wohl hinten parken müssen“, entschied Simon und lenkte den Wagen in eine kleine Nebenstraße.
„Frau Rossi?“ Enzo Rossis Mutter öffnete schon nach einmaligem Betätigen der Klingel die Haustür, so als ob sie auf jemanden gewartet hätte. In ihrem Gesicht zeigte sich Ärger, als sie Simon und Reiser erblickte.
„Oh, no! Sono spiacente, ich habe keine Zeit, bitte, machen Sie einen Termin im Restaurant mit meinem Mann. Er ist zuständig für die Vertreter, la ringrazio. Ich muss sofort weg.“ Italienisches Temperament sprühte förmlich aus der kleinen rundlichen Frau heraus und machte es Simon und Reiser schier unmöglich, irgendetwas zu erwidern.
Just in dem Moment, als Frau Rossi ihnen die Tür vor der Nase zuschlagen wollte, erwachte Simon aus seiner Erstarrung und sagte schnell:
„Es tut uns leid, Frau Rossi.“ Er zeigte ihr seinen Ausweis. „Wir sind von der Polizei. Dürfen wir hereinkommen?“
Schlagartig breitete sich Sorge und Angst in Frau Rossis Gesicht aus, aber sie öffnete die Tür und bat sie
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