Todesrennen
interessante Tatsache ausgegraben. Ich hatte ihn gebeten, sich eingehender mit Marco Celere zu beschäftigen. Es stellte sich heraus, dass Frost nicht der Einzige war, der ihn tot sehen wollte.«
Van Dorn sah seinen Chefermittler fragend an. »Mein Interesse ist immer dann besonders groß, wenn mehr als eine Person jemanden töten will. Wer ist es?«
»Eine geistig verwirrte Italienerin – Danielle Di Vecchio. Sie hat Celere mit einem Messer attackiert und dabei geschrien: › Ladro! Ladro! ‹ Wobei ladro das italienische Wort für ›Dieb‹ ist.«
»Irgendeine Idee, was sie so in Rage gebracht hat?«
»Nicht die geringste. Man hat sie in eine private Irrenanstalt eingewiesen. Ich werde mal hinfahren, um zu sehen, was ich aus ihr herausholen kann.«
»Wenn ich Ihnen einen guten Rat geben darf, Isaac, diese Betreiber von privaten Irrenhäusern können manchmal ein wenig schwierig sein. Sie haben so viel Macht über ihre Patienten, dass sie sich hin und wieder benehmen wie Napoleon persönlich … Darin steckt eine besondere Ironie, da viele ihrer Patienten glauben, sie seien tatsächlich Napoleon.«
»Ich bitte Grady, bei ihm nach einem schwachen Punkt zu suchen.«
»Sehen Sie nur zu, dass Sie zurück sind, ehe das Rennen gestartet wird. Ihr jungen Burschen seid besser darin, hinter Flugmaschinen herzujagen und unter freiem Himmel zu schlafen. Wegen Josephine brauchen Sie sich keine Sorgen zu machen. Ich kümmere mich persönlich um sie.«
Bell nahm den Empire State Express nach Albany, mietete einen leistungsstarken Ford Modell K und gelangte nach zwanzig Meilen zügiger Fahrt über unbefestigte Landstraßen nach Osten in eine nur dünn besiedelte Region im Nordwesten von Massachusetts. Es war eine bergige Landschaft mit weit verstreuten Farmen, die durch dichte Wälder voneinander getrennt waren. Zwei Mal unterbrach er seine Fahrt, um sich nach dem Weg zu erkundigen. Beim zweiten Mal erhielt er die Informationen von einem traurig dreinblickenden jungen Lastwagenfahrer, der am Rand der staubigen Straße gerade einen plattgefahrenen Reifen wechselte. Auf einem Anhänger befand sich eine zerlegte Flugmaschine mit zusammengefalteten Tragflächen.
»Das Ryder Private Asylum for the Insane?«, wiederholte der Fahrer Bells Frage.
»Wissen Sie, wo das ist?«
»Ich glaube schon. Gleich hinter diesem Hügel dort. Sie können es von der Kuppe aus sehen.«
Die Kleidung des Fahrers – flache Mütze, Weste, Fliege und mit Gummibändern fixierte Hemdsärmel – verriet Bell, dass er wahrscheinlich einen Flugmaschinenmechaniker vor sich hatte. »Wohin bringen Sie die Flugmaschine?«
»Nirgendwohin«, antwortete der junge Mann mit gramerfüllter Endgültigkeit, die keine weiteren Fragen zuließ.
Bell lenkte den Model K auf die Hügelspitze und sah unter sich einen dunkelroten Klinkerbau, der die Schatten eines engen Tals wuchtig ausfüllte. Festungsgleiche Mauerzinnen und Türme an beiden Enden trugen nicht gerade dazu bei, die Aura der Verzweiflung, die das Haus umgab, aufzuhellen. Die Fenster waren klein und – wie Bell erkennen konnte, als er näher kam – so vergittert wie die eines Gefängnisses. Eine hohe Mauer aus gleichfarbigen Ziegeln umgab das Gelände. Er musste vor einem eisernen Tor anhalten, wo er auf einen Klingelknopf drückte, der schließlich die Aufmerksamkeit eines mürrischen Wächters weckte, an dessen Gürtel ein Schlagstock hing und hin und her schwang.
»Ich heiße Isaac Bell. Ich habe eine Verabredung mit Dr. Ryder.«
»Das dürfen Sie nicht hinein mitnehmen«, sagte der Wachmann und deutete auf den Wagen.
Bell parkte das Automobil am Rand des Fahrwegs. Dann ließ ihn der Wächter durch das Tor herein. »Ich bin für das, was dem Wagen draußen passiert, nicht verantwortlich«, sagte er feixend. »Nicht alle Bekloppten wurden eingesperrt. Es laufen noch genug frei herum.«
Bell trat näher auf ihn zu und lächelte ihn eisig an. »Betrachten Sie den Schutz dieses Autos als Ihre Hauptaufgabe, bis ich zurückkomme.«
»Was meinen Sie damit?«
»Wenn diesem Auto irgendetwas zustößt, dann lasse ich die Wut darüber an Ihnen aus. Haben Sie verstanden? Gut. Und jetzt bringen Sie mich zu Dr. Ryder.«
Der Eigentümer des Heims war ein gepflegter, gewissenhafter, elegant gekleideter Mann in den Vierzigern. Er sah wie ein notorischer Wichtigtuer aus, dachte Bell, und außerdem so, als sei er überaus zufrieden mit einer Situation, die ihm die totale Kontrolle über das Leben
Weitere Kostenlose Bücher