Todesritual: Thriller (German Edition)
nicht erzählt. Überhaupt hat sie nicht viel mehr über ihn gesagt.«
Sarah schaute wieder zu Benny hinüber, der jetzt zurückgelehnt und mit verschränkten Armen dasaß.
»Wie finde ich die Insel?«
»Solange Sie nicht jemanden kennen, der zum engsten Kreis der Regierung gehört, oder jemanden von der Küstenwache bestechen können, dass er Sie hinbringt – was sehr unwahrscheinlich ist –, weiß ich es nicht«, sagte sie. »Und nur für’s Protokoll: Ich kann Ihnen nur davon abraten. Das ganze Gebiet wird strengstens überwacht. Entweder man wird Ihr Boot mit Ihnen an Bord versenken, oder Sie werden festgenommen.«
Max schwieg. Ihm schwirrte der Kopf. Er hörte, wie Benny sich räusperte.
»Sie sagten, es gebe zwei Dinge, die Sie mir von Joe ausrichten sollten. Was ist das zweite?«, fragte Max.
»Joe wollte, dass Sie sehen, was er hier gemacht hat. Es ist oben.«
47
Sarah schloss die Tür zu Vanetta Browns Schlafzimmer auf und schaltete das Licht ein.
»Ist der Strom wieder da?«, fragte Max.
»Der war nie weg«, sagte sie stirnrunzelnd. Dann verstand sie. »Wegen der Öllampen unten? Nein. Ich mag das so, wenn ich allein bin. Ist gemütlich.«
Sie standen in einem geräumigen Zimmer mit blassblauen Wänden und dunkel lackiertem Holzfußboden. Über dem Bett zur Rechten hingen nebeneinander zwei gerahmte Landkarten, eine von Kuba und eine von Haiti, und original haitianische Gemälde, beide mit üppigen Dschungelmotiven, nahmen die anliegenden Wände ein. Ganz ähnliche Gemälde hatte Max für seine Detektei in Little Haiti gekauft. Yolande hatte diesen Stil als »naive Schwindelei« bezeichnet, weil die Künstler ihre Heimat als tropisches Paradies darstellten, in dem sämtliche Arten von wilden Tieren lebten, wo das Land in Wahrheit komplett gerodet und so unfruchtbar war, dass die Menschen Mutterboden aus der benachbarten Dominikanischen Republik stehlen mussten, wenn sie irgendetwas anbauen wollten.
Erst nach dem ersten Rundblick stieg ihm der Geruch in die Nase. Kalter Schweiß, starke Medikamente, Franzbranntwein. Max musste an ein Altersheim denken und daran, wie das Leben einen schwächer werdenden Körper verlässt.
Max ging zu den Balkontüren und riss sie weit auf. Warmer Regen schlug ihm ins Gesicht, danach kühlte ihm der Wind, der den Regen herantrug, die Haut. Er atmete tief durch. Die Straßenlaternen waren angegangen, und in ihrem orangefarbenen Licht sah der Regen aus wie brennende Streichhölzer und die Moncada-Kaserne wie ein riesiges Stück Kunstkäse, ein bisschen nach Plastik und ein klein wenig ranzig.
Er drehte sich wieder dem Zimmer zu, schaute sich noch einmal um. Es erfüllte drei Funktionen – Arbeit, Schlafen und Freizeit – und war entsprechend aufgeteilt und gegliedert. Das Büro in der Mitte, Bett, Kleiderschrank und Kommode zur Rechten, und dann der Raum, in dem er jetzt stand: die Bibliothek.
In der Ecke stand neben einem Sessel mit passender Fußbank und einem kleinen Tisch mit Rollen eine hohe Messingstehlampe mit Quasten am Schirm. Dahinter ein breites Bücherregal, das von oben bis unten mit Krimskrams gefüllt war: Schneekugeln – von Miami, Port au Prince, Santo Domingo, Carácas und der Boje vor Key West mit der Aufschrift »90 Meilen bis Kuba« – und kleine Mahagonikästchen mit eingravierten Ländernamen auf der Seite: USA, Haiti, Russland, China, Angola.
Max öffnete das Kästchen aus den USA und sah, dass es mit Sand gefüllt war.
»Aus Miami Beach«, sagte Sarah. »Vanetta nannte das ›Reisen per Stellvertreter‹. Sie durfte das Land verlassen, hat das aber, bis jetzt, nie getan. Aus offensichtlichen Gründen.«
Neben dem Fenster stand ein HiFi-Regal mit Plattenspieler, Kassettendeck und Radio, darunter hinter einer Glastür ein Fach, das mit ungefähr 50 LPs gut gefüllt war. Er las die Coverrücken: James Brown, Sam Cooke, Billie Holiday, Sarah Vaughan, Paul Robeson, Aretha Franklin, Marvin Gaye, Stevie Wonder, Ella Fitzgerald, Stand! von Sly & The Family Stone und Legend von Bob Marley. Sie hatte den gleichen Musikgeschmack wie er.
Max ging zum Schreibtisch, auf dem eine klobige Tastatur lag, die vor dem gewaltigen Bildschirm sehr klein wirkte. Ein paar Zentimeter über dem Bildschirm hingen, in unregelmäßigen Abständen, drei Schwarz-Weiß-Fotos unterschiedlicher Größe. Max vermutete, dass Vanetta sie dort aufgehängt hatte, damit sie das Erste waren, was sie sah, wenn sie vom Bildschirm aufschaute.
Das letzte Foto war das
Weitere Kostenlose Bücher