Todesritual: Thriller (German Edition)
blassblaue Bluse farblich auf den Nagellack abgestimmt.
»Aufstehen«, befahl sie. Er rappelte sich auf die Knie, kam aber nicht auf die Füße. Sie zog ihn am Arm hoch. Sie war ein Stückchen größer als er, ihre Schultern fast genauso breit wie seine. Ihr Gesicht konnte er nicht sehen.
Sie war allein. Er überlegte, wie weit er kommen würde, wie schnell er mit den Händen auf dem Rücken laufen konnte. Nicht weit und nicht schnell genug. Noch dazu war sie bewaffnet. Also dachte er stattdessen darüber nach, was als Nächstes kam und wie er erklären wollte, dass er in eine fremde Wohnung eingebrochen war. Vielleicht war ein Fluchtversuch doch keine so schlechte Idee.
Sie schubste ihn die Straße hinunter, an deren Ende ein weißer Suzuki parkte. Getönte Scheiben, ein Zivilfahrzeug. Sie öffnete die Hintertür, er beugte sich vor und stieg ein. Sie setzte sich ans Steuer.
Drinnen die übliche Streifenwagenausstattung – harte Sitze, keine Türgriffe, ein stabiles Gitter zwischen ihm und den Vordersitzen, bruchsicheres Glas, ein Funkgerät auf dem Armaturenbrett –, aber durchdrungen von ihrem Duft, Lilien mit einer kräftigen Note Rosenholz.
Sie fuhren die Calle Ethelberg hinab, in den Wohnungen brannten mehr Lichter als zuvor. Vor der Nummer 87 hatte sich eine kleine Menschentraube gebildet.
»Das Strafmaß für Einbruch liegt bei zwanzig Jahren, mindestens. Bewährung oder Haftverkürzung wegen guten Betragens gibt es bei uns nicht. In Kuba ist ein Urteil ein Urteil, die Haftstrafe, die jemand bekommt, sitzt er auch ab«, sagte die Frau, sobald sie auf der Hauptstraße in Richtung Innenstadt waren. Im Gespräch war ihre Stimme weicher und wärmer, als Max erwartet hatte, und sie sprach fehlerloses, wenn auch sehr bemühtes Englisch, in dem sich korrekte Aussprache und Akzent die Waage hielten. Der Inhalt ihrer Worte klang dadurch nur noch schlimmer. »Die Strafe wegen Spionage ist sehr viel höher.«
»Ich habe nicht spioniert.«
»Sie sind in ein Sperrgebiet eingedrungen und in die Wohnung einer Person eingebrochen, die unter dem Schutz der Regierung steht. Und Sie sind Amerikaner. Das macht Sie zu einem potenziellen Spion«, sagte sie.
»Schwachsinn«, brummte Max. »Ich wusste nicht einmal, dass das ein Sperrgebiet ist.«
»Ist es aber.«
»Das ist Ihre Vorstellung von einem Sperrgebiet? Ich bin da mit dem Fahrrad reingefahren. Jeder kann da reinspazieren.«
»Aber niemand tut es – normalerweise«, sagte sie.
»Und was soll das bedeuten, dass sie ›unter dem Schutz der Regierung steht‹?«
»Señora Brown ist eine persönliche Freundin von Fidel Castro. Die beiden kennen sich schon sehr lange.«
»Scheiße«, flüsterte Max. Wie groß und wie tief war die Patsche, in die er hier geraten war? Wahrscheinlich kannte Vanetta Brown Fidel über ihre Schwiegereltern, die Dascals. Die hatten in Miami für Castro Geld gesammelt. Vanetta hatte Ezequiel, ihren zukünftigen Ehemann, Ende der 1950er Jahre bei einer Rede Castros auf der Flagler Street kennengelernt. Vielleicht war sie Castro sogar schon damals vorgestellt worden. Vanetta war nicht nur deshalb nach Kuba geflohen, weil das Land kein Auslieferungsabkommen mit den USA geschlossen hatte. Sie verfügte hier über persönliche Kontakte – sehr mächtige noch dazu.
»Was hatten Sie in Señora Browns Haus verloren?«
»Ich habe sie gesucht.«
»Warum?«
»Ich muss mit ihr reden«, sagte er. »Der Mann auf diesem Foto, das Sie mir abgenommen haben, das ist – war – mein Freund, Joe Liston. Er ist tot. Er wurde vor wenigen Wochen in Miami ermordet.«
»Was hat das mit Señora Brown zu tun?«
»Sie wird verdächtigt. Die Polizei in Miami vermutet, dass sie ihn hat umbringen lassen.«
»Umbringen lassen?«
»Die glauben, dass sie einen Killer beauftragt hat.«
»Haben die Sie geschickt?«
»Niemand hat mich geschickt.«
Auf der Gegenspur rasten ihnen drei Polizei-Ladas mit Blaulicht entgegen. Max glaubte zu sehen, wie sich ihre Schultern leicht verspannten, als sie näherkamen, und wieder lockerer wurden, als sie vorüber waren.
»Welche Beweise haben die?«
»Auf den Patronenhülsen am Tatort wurden ihre Fingerabdrücke sichergestellt«, sagte er und ging im Kopf die Informationen durch, die er ihr weitergeben, und die, die er für sich behalten wollte. Irgendwie fühlte sich das Ganze nicht richtig an, schon seit sie losgefahren waren. Die Staffage des Gesetzeshüters war da – die Waffe, die Handschellen, die Leibesvisitation
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